Rn 15

Zweck der ergänzenden Vertragsauslegung ist es, Lücken der rechtsgeschäftlichen Regelung zu schließen. Ein derartiges Vorgehen kommt daher nur in Betracht, wenn die zu klärende Frage nicht im Wege der eigentlichen Auslegung zu klären ist. Diese ist daher stets vorrangig (BGH NJW-RR 09, 593 [BGH 21.01.2009 - XII ZR 79/07]). Ob es sich bei der ergänzenden Auslegung überhaupt noch um Auslegung im Sinne einer an der privatautonomen Gestaltung des Rechtsverhältnisses orientierten Lösung handelt, ist insofern fraglich (hierfür Staud/Roth Rz 2). Nach aA soll es sich um heteronome Rechtsfortbildung handeln, die sich an den objektiven Maßstäben von Treu und Glauben und der Verkehrssitte zu orientieren habe (MüKo/Busche Rz 28). Dabei ist aber unstr, dass Leitgedanke auch der ergänzenden Auslegung der hypothetische Wille der Parteien sein muss (hierzu Rn 24, Rn 26).

 

Rn 16

Die ergänzende Auslegung kommt grds bei allen Willenserklärungen in Betracht, auch bei formbedürftigen (BGHZ 22, 364, 368 = NJW 57, 423; Karlsr JZ 82, 860). Gerade bei Testamenten hat die ergänzende Vertragsauslegung besondere Bedeutung (§ 2084 Rn 13). Für die ergänzende Vertragsauslegung gilt die Andeutungstheorie nicht.

 

Rn 17

Schließlich ist die ergänzende Vertragsauslegung in den Fällen des offenen (BGH NJW 75, 1116 [BGH 19.03.1975 - VIII ZR 262/73]) oder versteckten Dissenses fruchtbar zu machen, um Lücken in der vertraglichen Einigung der Parteien zu schließen (§ 155 Rn 9 ff).

 

Rn 18

Die Rspr nimmt im Wege ergänzender Auslegung stillschweigende Haftungsausschlüsse zuweilen selbst dann an, wenn ein endgültiger Vertragsschluss gescheitert ist (BGH NJW 80, 1682 [BGH 18.12.1979 - VI ZR 52/78]; Dresden NJW-RR 97, 1180 [OLG Dresden 27.06.1996 - 7 U 791/96] Haftungsausschluss bei Bergung eines LKW). Inwieweit es sich hier freilich noch um Vertragsauslegung und nicht um die Erweiterung gesetzlicher Haftungsbeschränkungen handelt, ist fraglich (Rn 41; Staud/Roth Rz 13). Dieselben Zweifel gelten auch bezüglich der Gewinnung des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter aus dem Gesichtspunkt der ergänzenden Vertragsauslegung (vgl BGHZ 159, 1, 4 = NJW 04, 3035 Kreditnehmer als Begünstigter eines von einem Dritten beauftragten Wertgutachtens; München 20 U 4108/10 Rz 32 Einbeziehung des Versicherungsnehmers in den Schutzbereich eines vom Versicherer veranlassten Gutachtenauftrags zur Schadensfeststellung).

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