Rn 4

Das Anfechtungsrecht ist ausgeschlossen, wenn eine sozial-familiäre Beziehung zwischen dem rechtlichen Vater und dem Kind besteht. Der Begrenzung des Anfechtungsrechts liegt eine abstrakte (verfassungsrechtliche) Abwägung der Interessen des Kindes, des rechtlichen Vaters, der Mutter sowie des biologischen Vaters zugrunde, wonach dem Erhalt eines bestehenden Familienverbandes der Vorrang vor dem Interesse des leiblichen Vaters einzuräumen ist (BVerfG 14, 449; 03, 816; Hamm NZFam 21, 235; EGMR FamRZ 22, 799). Eine weitergehende am Einzelfall orientierte Interessenabwägung ist danach weder erforderlich noch möglich. Die bestehende Beziehung schließt das Anfechtungsrecht auch dann aus, wenn der leibliche Vater früher mit dem Kind zusammengelebt hatte oder eine längere häusliche Gemeinschaft nur infolge von Verfahrensverzögerungen entstanden ist (BGH FamRZ 18, 275; Bremen FamRZ 13, 1824; KG FamRZ 15, 1119). Selbst wenn der leibliche Vater nach der Geburt des Kindes für mehrere Jahre mit dem Kind zusammengelebt und weiterhin Kontakte gehalten hatte, es jedoch versäumte, die Vaterschaft wirksam anzuerkennen, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre, kann er die Vaterschaft nicht anfechten (BVerfG FamRZ 15, 817). Wenn der rechtliche Vater nach einer Trennung regelmäßig Umgang mit dem Kind hat und die Kindesmutter mit dem leiblichen Vater zusammenlebt, begründet dies kein Anfechtungsrecht (BGH FamRZ 18, 275). Allerdings hat das BVerfG (FamRZ 19, 124; dem folgend Schlesw v 23.3.21 – 15 UF 148/20, juris) für bestimmte Konstellationen eine verfassungskonforme Auslegung gefordert, wenn der leibliche Vater alles in seiner Macht liegende unternommen hatte, um die rechtliche Vaterschaft zu erlangen. Nach einem von ihm eingeleiteten Vaterschaftsfeststellungsverfahren dürfe sein Elternrecht nicht durch eine Vaterschaftsanerkennung eines anderen Mannes unterlaufen werden. Einer danach denkbaren Vorverlagerung des Beurteilungszeitpunkts folgt der BGH (FamRZ 21, 1127) indes nicht, sodass für die Feststellung einer sozial-familiären Beziehung auf den Schluss der letzten Tatsacheninstanz abzustellen ist.

 

Rn 5

Abs 3 S 1 definiert eine sozial-familiäre Beziehung als unwiderlegliche gesetzliche Vermutung dahin, dass der rechtliche Vater für das Kind tatsächliche Verantwortung trägt oder getragen hat. Hiervon ist nach der widerleglichen Vermutung in S 2 idR auszugehen, wenn er mit der Mutter des Kindes verheiratet ist oder mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat (Zweibr FamRZ 21, 1135). Zur Beurteilung ist primär auf nachhaltige und intensive Beiträge bei der Betreuung und Erziehung des Kindes abzustellen, während der finanziellen Unterstützung geringere Bedeutung zukommt (BVerfG 03, 816, 821; BGH FamRZ 08, 1821). Ist sowohl das Bestehen einer sozial-familiären Beziehung als auch die genetische Abstammung des Kindes str, so ist vorrangig die Beziehung des Kindes zum rechtlichen Vater zu klären (BVerfG FamRZ 15, 119; Frankfurt FamRZ 19, 1254).

 

Rn 6

Für eine längere häusliche Gemeinschaft werden Zeiträume von drei Monaten (bei Kleinkindern) bis zu einem oder zwei Jahren als Indiz für die Verwurzelung des Kindes genannt. Auch ein kürzeres Zusammenleben kann ausreichend sein, wenn die Beziehung noch andauert und durch Kontakt zum Kind diese auf Dauer angelegt erscheint (BGH FamRZ 07, 538; Brandbg FamRZ 12, 44). Von Bedeutung ist die Wahrnehmung elterntypischer Rechte und Pflichten durch Betreuungsbeiträge, durch regelmäßige Umgangskontakte, aber auch durch die ›geistige und emotionale Auseinandersetzung ‹ (BVerfG FamRZ 06, 187; Hamm FamRZ 16, 1185, 1187). Der Antragsteller muss schlüssig die nach außen in Erscheinung tretenden Umstände und Indizien darlegen und kann sich nicht auf das Bestreiten einer solchen Beziehung beschränken (BGH FamRZ 08, 538, 541), ohne dass eine sekundäre Darlegungslast der rechtlichen Eltern besteht (weitergehend Hambg FamRZ 19, 1335; Hambg v 23.8.21 – 12 WF 98/21, juris). Ohne konkrete Tatsachen, aber auch in einer Non-liquet-Situation ist der Antrag zurückweisen. Ist eine frühere sozial-familiäre Beziehung beendet, steht diese dem Anfechtungsrecht nicht mehr entgegen, wenn die kenntnisabhängige Anfechtungsfrist gewahrt ist, weil das Bestehen dieser Beziehung weder den Lauf der Anfechtungsfrist (§ 1600b I 2) hindert noch diese nach der Beziehung wieder auflebt (Karlsr FamRZ 16, 1382).

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