Rn 48

Nach I 1 wirkt die in fremdem Namen abgegebene Willenserklärung nur dann unmittelbar für und gegen den Vertretenen, wenn der Stellvertreter mit Vertretungsmacht handelt. Dies folgt aus dem Recht des Vertretenen zur privatautonomen Selbstbestimmung (Medicus/Petersen AT Rz 923). Handelt der Vertreter iR seiner Vertretungsmacht, führt dies grds zu einer rechtsgeschäftlichen Bindung des Vertretenen. Das Risiko einer fehlenden Vertretungsmacht des Handelnden weist das Gesetz dem Geschäftsgegner zu (BGH WM 20, 2287 Rz 9; NJW 11, 2421 Rz 20). Maßgeblich für die Frage, ob der Vertreter mit Vertretungsmacht handelte, ist der Zeitpunkt der Abgabe oder Entgegennahme der Willenserklärung, nicht der des Wirksamwerdens der Erklärung (Naumbg FGPrax 98, 1, 2; Neuner AT § 49 Rz 38). Handelt der Vertreter ohne Vertretungsmacht oder überschreitet er sie, treffen die Rechtsfolgen nach der Gesetzessystematik den Stellvertreter selbst (§ 179), es sei denn, das Vertretergeschäft ist nach den §§ 170 ff oder den Grundsätzen der Duldungs- und Anscheinsvollmacht (s § 167 Rn 37 ff) als wirksam zu behandeln oder der Vertretene genehmigt das Rechtsgeschäft nachträglich (§§ 177 I, 184). Ist das Vertretergeschäft teilw durch die Vertretungsmacht nicht gedeckt (Vollmachtsüberschreitung), gilt § 139 entspr (BGH NJW 70, 240, 241 [BGH 14.11.1969 - V ZR 97/66]). Ohne Vertretungsmacht handelt der Vertretene auch, wenn er von der ihm erteilten Vollmacht keinen Gebrauch macht (BGH NJW 09, 3792 Rz 11).

1. Begriff und Rechtsnatur.

 

Rn 49

Vertretungsmacht ist die Rechtsmacht (Legitimation), durch rechtsgeschäftliches Handeln Rechtswirkungen unmittelbar für und gegen den Vertretenen herbeizuführen. Sie ist nach der hM kein subjektives Recht, sondern eine Rechtsmacht eigener Art (BayObLG NJW-RR 01, 297; Bork Rz 1426). Zur Pfändbarkeit und Abtretbarkeit der Vollmacht s § 167 Rn 3. Die Vertretungsmacht betrifft das rechtliche Können im Außenverhältnis zwischen dem Vertreter und dem Vertragspartner. Als solche ist sie von der Geschäftsführungsbefugnis im Innenverhältnis zwischen dem Vertreter und dem Vertretenem zu unterscheiden, die das rechtliche Dürfen des Vertreters betrifft. Nach dem Abstraktionsprinzip ist die Vertretungsmacht im Interesse der Rechtssicherheit grds unabhängig von dem Dürfen im Innenverhältnis zu beurteilen (BGH NZI 21, 197 Rz 8; WM 20, 2287 Rz 8; Neuner AT § 49 Rz 98).

2. Erscheinungsformen und Entstehungsgrund.

 

Rn 50

Die Vertretungsmacht kann auf Gesetz, Rechtsgeschäft oder einer Organstellung beruhen (Staud/Schilken Rz 8).

a) Gesetzliche Vertretungsmacht.

 

Rn 51

Das Gesetz ordnet die gesetzliche Vertretung dort an, wo der Vertretene nicht voll geschäftsfähig oder aus sonstigen Gründen nicht in der Lage ist, seine eigenen Angelegenheiten eigenverantwortlich zu regeln. In diesen Fällen soll die gesetzliche Vertretung dem Vertretenen die Teilnahme am Rechtsverkehr ermöglichen. Hauptanwendungsfall ist die gesetzliche Vertretungsmacht der Eltern für ihr Kind, die sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt (§ 1629). Gesetzliche Vertreter sind auch der Vormund (§ 1793 aF, ab 1.1.23 § 1789 II), der Betreuer (§ 1902 aF, ab 1.1.23 § 1823), der Pfleger (§§ 1915, 1793 aF, ab 1.1.23 §§ 1813, 1789 II), der Nachlasspfleger (§§ 1960 II iVm §§ 1915 I, 1793 aF, ab 1.1.23 §§ 1813, 1789 II) sowie der Prozesspfleger (§§ 57, 58 ZPO), bei denen es für die Begründung der Vertretungsmacht eines zusätzlichen Staatsaktes bedarf und die Vertretungsmacht daher nur mittelbar auf dem Gesetz beruht.

b) Rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht (Vollmacht).

 

Rn 52

Rechtsgrund der gewillkürten Stellvertretung ist die in § 166 II legal definierte Vollmacht, die eine Arbeitsteilung in der Rechtssphäre des Vertretenen ermöglichen soll (MüKo/Schubert Rz 1). Zur Erteilung, zum Erlöschen und Fortwirken der Vollmacht s §§ 167 ff. Spezielle Regelungen enthalten die §§ 48 ff HGB (Prokura); §§ 81 ff ZPO (Prozessvollmacht).

c) Organschaftliche Vertretungsmacht.

aa) Dogmatische Grundlagen.

 

Rn 53

Die organschaftliche Vertretung beruht darauf, dass juristische Personen selbst nicht handlungsfähig und daher auf das Handeln ihrer Organe, dh von Personen angewiesen sind, die befugt sind, den Willen der juristischen Person zu bilden. Die organschaftliche Vertretung ist nach der Formulierung des § 26 II 1 als dritte eigenständige Kategorie der Stellvertretung der gesetzlichen Vertretung gleichgestellt (Bork Rz 1433; aA für eine grds Unterscheidung von Organschaft und Stellvertretung Beuthien NJW 99, 1142 ff). Nach der Organtheorie wird der juristischen Person die Willenserklärung ihres Organs aber nicht als eine fremde Erklärung zugerechnet, sie erfüllt durch das Organhandeln vielmehr selbst den rechtsgeschäftlichen Tatbestand (Bork Rz 1433; hM). Dagegen ist die Vertretung der juristischen Person durch das Organ nach der Vertretertheorie in gleicher Weise Stellvertretung wie das Stellvertreterhandeln des gesetzlichen Vertreters oder des Bevollmächtigten (Flume I/2 § 11 I). Zur Kritik an der Organtheorie iRd Wissenszurechnung s § 166 Rn 23.

bb) Anwendungsbereich.

 

Rn 54

Organe sind der Vorstand des rechtsfähigen Vereins (§ 26 II), der Stiftung (§ 86 aF, ab 1.7.23 § 84 II), der Genossenschaft (§ 24 I GenG) und der AG (§ 78 AktG) sowie der...

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