Gesetzestext

 

(1) Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind.

(2) In der Regel ist anzunehmen, dass das Vermögen des Kindes gefährdet ist, wenn der Inhaber der Vermögenssorge seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind oder seine mit der Vermögenssorge verbundenen Pflichten verletzt oder Anordnungen des Gerichts, die sich auf die Vermögenssorge beziehen, nicht befolgt.

(3) Zu den gerichtlichen Maßnahmen nach Absatz 1 gehören insbesondere

1. Gebote, öffentliche Hilfen wie zum Beispiel Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe und der Gesundheitsfürsorge in Anspruch zu nehmen,
2. Gebote, für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen,
3. Verbote, vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit die Familienwohnung oder eine andere Wohnung zu nutzen, sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung aufzuhalten oder zu bestimmende andere Orte aufzusuchen, an denen sich das Kind regelmäßig aufhält,
4. Verbote, Verbindung zum Kind aufzunehmen oder ein Zusammentreffen mit dem Kind herbeizuführen,
5. die Ersetzung von Erklärungen des Inhabers der elterlichen Sorge,
6. die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge.

(4) In Angelegenheiten der Personensorge kann das Gericht auch Maßnahmen mit Wirkung gegen einen Dritten treffen.

A. Abs 1: Eingriffsvoraussetzungen bei Gefährdung des persönlichen Kindeswohls.

I. Kindeswohl- und Gefährdungsbegriff.

1. Kindeswohl.

 

Rn 1

Das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes muss gefährdet sein. Der Begriff des Kindeswohls ist das Herzstück der Generalklausel des § 1666, die das FamG im Einzelfall auf der Grundlage eines individuell herausgearbeiteten Sachverhalts auszufüllen hat (Staud/Coester § 1666 Rz 65 f). Dabei kann es auf die Kindeswohlkriterien zurückgreifen, die für die Sorgerechtsentscheidung gem § 1671 II Nr 2 entwickelt wurden (s § 1671 Rn 30 ff). Die Gefährdung des Kindeswohls ist Eingriffsschwelle und Legitimation für staatliche Schutzmaßnahmen (Staud/Coester § 1666 Rz 65). Das Kindeswohl hat Vorrang vor den Interessen der Eltern, erst recht vor denjenigen anderer Beteiligter. Die Eltern können zwar grds frei von staatlichen Einflüssen und Eingriffen nach eigenen Vorstellungen darüber entscheiden, wie sie die Pflege und Erziehung ihrer Kinder gestalten und damit ihrer Elternverantwortung gerecht werden wollen. In der Beziehung zum Kind muss aber das Kindeswohl die oberste Richtschnur der elterlichen Pflege und Erziehung sein. Wenn Eltern ihrer Verantwortung nicht gerecht werden, greift das Wächteramt des Staates nach Art 6 II 2 GG ein; der Staat ist nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, die Pflege und Erziehung des Kindes sicherzustellen; der Staat ist nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, die Pflege und Erziehung des Kindes sicherzustellen (BverfG FamRZ 68, 578, 584; 82, 567, 569; 89, 145, 146; 99, 85, 86; 99, 145, 156; 06, 1593, 1594; 21, 672, 675). Vor der Geburt kommt eine Sorgerechtsentziehung nicht in Betracht, es kann aber ein dahingehendes Verfahren bereits eingeleitet werden (Frankf FamRZ 18, 190; aA Hamm FamRZ 20, 1355 m zust Anm Hammer).

2. Gefährdung.

 

Rn 2

Die Gefahr muss gegenwärtig oder nahe bevorstehend sein und so ernst zu nehmen, dass bei Fortdauer eine erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls des Kindes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (BGH FamRZ 17, 212, 213; 56, 350; 19, 598; Zweibr FamRZ 84, 931; Brandbg FamRZ 08, 1557; Celle FamRZ 03, 1490; Hamm FamRZ 06, 359; Karlsr FamRZ 18, 1830, 1832 mAnm Burhart, aufgehoben BGH FamRZ 19, 598). Eine bloß künftige Gefahr genügt nicht. Andererseits setzt die Annahme einer gegenwärtigen Gefahr nicht voraus, dass sie sich bereits auf das augenblickliche oder vorübergehende Befinden des Kindes ausgewirkt hat (BayObLG DAVorm 81, 901, 903). Vielmehr genügt es, dass der Schaden für eine gedeihliche altersgemäße Entwicklung des Kindes bereits in den gegenwärtigen Verhältnissen angelegt ist und ein Eingreifen zum jetzigen Zeitpunkt notwendig ist (Brandbg FamRZ 16, 1180, 1181; Staud/Coester § 1666 Rz 82a). An den Grad der Wahrscheinlichkeit der Gefährdung sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und gewichtiger der drohende Schaden ist (BGH FamRZ 17, 212, 213; Frankf FamRZ 19, 1425: sexueller Missbrauch); konkrete Verdachtsmomente aufgrund zumindest geringer Anzeichen bleiben aber notwendig (Karlsr FamRZ 09, 1599: Reise in Land mit Beschneidungspraxis; Hambg FamRZ 20, 925: bei Entführungsgefahr); eine nur abstrakte Gefährdung genügt nicht (BGH FamRZ 17, 212, 213). Eine konkrete Gefährdung kann sich auch aus einer Vielzahl von Einzelaspekten ergeben (KG FamRZ 16, 641, 643 mAnm Coester). Die Feststellungslast trägt der Staat (BverfG FamRZ 20, 422).

 

Rn 3

Es muss sich um eine schwerwiegende Gefährdung des Kindes in körperlicher, seelischer oder geistiger Beziehung handeln. Denn grds genießt die Pflege und Erziehung der Kinder durch die Eltern. Gem Art 6 II 1 GG den V...

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