Rn 28

Der Antrag auf Übertragung der Alleinsorge gem § 1671 I 2 Nr 2 hat auch bei Fehlen der Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit der Eltern nur Erfolg, wenn die Übertragung gerade auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Bei der Prüfung dieser Frage ist nicht auf ein theoretisches Ideal abzustellen, sondern darauf, welche Sorgeentscheidung unter den gegebenen Umständen für das Kind am besten ist. Anders gefragt: Ist die Übertragung der Alleinsorge auf den Antragsteller für das Kind weniger schädlich als es die Übertragung auf den Antragsgegner wäre (vgl auch BGH FamRZ 85, 169)?

 

Rn 29

Der Inhalt des zentralen Begriffs des Kindeswohls ist im G nicht näher definiert. Lediglich in § 1 I des SGB VIII, das sich mit der Kinder- und Jugendhilfe befasst, findet sich die Formulierung, dass jeder junge Mensch ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit hat. Damit wird aber eher das Ziel der Erziehung beschrieben als die Lebensumstände des Kindes, die Voraussetzung für das Erreichen dieses Ziels sind (ähnl J/H/A/Lack § 1671 Rz 48). Neben der Fähigkeit der Eltern eine solche Erziehung zu leisten wird das Wohl des Kindes maßgeblich durch Umstände bestimmt wie etwa: eine angst- und spannungsfreie Beziehung zu beiden Eltern und der Eltern untereinander, das Erleben einer bedingungslosen Liebe der Eltern, die dem Kind die Sicherheit des Angenommenseins vermittelt, der Kontakt zu weiteren Bezugspersonen, insb zu gleichaltrigen Kindern, günstige äußere Wohn- und Lebensverhältnisse, zu denen auch die wirtschaftlichen Verhältnisse zählen, sowie die entspr Schul- und Berufsausbildung (vgl auch AG Daun FamRZ 08, 1879: Versorgungs- und Identitätsbeziehung).

 

Rn 30

Ob das Sorgerecht besser dem einen oder dem anderen Elternteil zu übertragen ist, beurteilt sich nach anerkannten Kriterien: Förderungsgrundsatz, Kontinuitätsgrundsatz, Bindungen des Kindes und Kindeswille (Dresd FamRZ 17, 1834, 1836 J/H/A/Lack § 1671 Rz 52, 64, 68, 78; Grüneberg/Götz § 1671 Rz 26 ff; Staud/Coester § 1671 Rz 177; FA-FamR/Maier Kap 4 Rz 228). Für diese Kriterien gibt es weder eine Reihenfolge noch eine allgemeingültige Gewichtung (Köln FamRZ 13, 554; J/H/A/Lack § 1671 Rz 51; FA-FamR/Maier Kap 4 Rz 227). Der Prüfung des Kindeswohls ist jeder Schematismus fremd. Deshalb muss in jedem Einzelfall nach umfassender Sachverhaltsermittlung durch das Gericht geprüft werden, welche Sorgeentscheidung gerade für dieses Kind mit seiner Persönlichkeit und seiner Vergangenheit im Hinblick auf seine Zukunft am besten ist (J/H/A/Lack § 1671 Rz 46). Dabei sind die genannten Kriterien lediglich hilfreich die vielfältigen Aspekte des Kindeswohls zu erfassen und zu ordnen. Im Einzelfall kann jedem Kriterium die entscheidende Bedeutung zukommen; jedes kann mehr oder weniger bedeutsam sein, abgesehen vom Fall der völligen Erziehungsunfähigkeit eines Elternteils (BGH FamRZ 90, 392, 393). So kann einem Elternteil, der nach dem Förderungsprinzip weniger als der andere zur Erziehung des Kindes geeignet ist, trotzdem das Sorgerecht übertragen werden, wenn das Kind zu ihm die stärkeren Bindungen entwickelt hat (KG FamRZ 83, 1159 [KG Berlin 26.08.1983 - 17 WF 1325/83]).

aa) Förderungsgrundsatz.

 

Rn 31

Der Förderungsgrundsatz stellt darauf ab, bei welchem Elternteil das Kind die meiste Unterstützung für den Aufbau seiner Persönlichkeit erfahren kann (BVerfG FamRZ 81, 124). Das ist der Elternteil, der nach seiner eigenen Persönlichkeit, seiner Beziehung zum Kind und nach den äußeren Verhältnissen eher in der Lage zu sein scheint, das Kind zu betreuen und seine seelische und geistige Entfaltung zu begünstigen (KG FamRZ 90, 1383; Brandbg FamRZ 96, 1095). Es ist daher eine Prognose abzugeben, bei welchem Elternteil das Kind eher zu einer körperlich und psychisch gesunden, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit mit einer seinen Möglichkeiten und Bedürfnissen entspr Ausbildung heranwachsen wird (vgl Kobl FamRZ 19, 298). Schlicht ausgedrückt: Es ist zu fragen, bei wem das Kind aller Voraussicht nach besser ›geraten‹ wird. Dabei richtet der Förderungsgrundsatz das Augenmerk auf die Fähigkeiten und Möglichkeiten des jeweiligen Elternteils. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit lassen sich diese unter folgenden Aspekten betrachten:

(1) Erziehungseignung im engeren Sinn und Erziehungsstil.

 

Rn 32

Welcher Elternteil besser geeignet ist, das Kind zu erziehen und welcher Elternteil das bessere Erziehungskonzept und den besseren Erziehungsstil hat, lässt sich anhand von positiven Merkmalen nur schwer feststellen, zumal man innerhalb einer gewissen Bandbreite mit Wertungen zurückhaltend sein muss. Es ist nicht Aufgabe des Familienrichters darüber zu befinden, welcher Erziehungsauffassung generell der Vorzug zu geben ist, solange die in Betracht kommenden innerhalb bestimmter Grenzen liegen (Hamm FamRZ 89, 654; vgl auch J/H/A/Lack § 1671 Rz 60; FA-FamR/Maier Kap 4 Rz 244). Deshalb beschränkt sich die Prüfung im Allg darauf, ob bei einem Elternteil objektive Ums...

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