Rn 2

Die Auslegungsregel des II greift ein, wenn zweifelhaft bleibt, ob Wechselbezüglichkeit oder Unabhängigkeit gewollt ist (BGH NJW-RR 87, 1411; Hamm FamRZ 07, 680; BayObLG FamRZ 97, 1242; Hamm NJWE-FER 01, 157). Um die Zweifel zu beseitigen, können zunächst nach den Grundsätzen der Andeutungstheorie außerhalb der Urkunde liegende Umstände berücksichtigt werden. Dazu gehören ggf Vermögenslosigkeit eines Teils (BayObLG FamRZ 84, 1155 bei Schlusserbeneinsetzung, einschr Hamm NJW-RR 95, 777, wenn Vermögen gemeinsam erarbeitet wurde; ähnl BayObLG FamRZ 95, 253; Brandbg FamRZ 99, 1543), Zuwendungen während der Ehe, Dankesschuld, Äußerungen des überlebenden Ehegatten (BayObLG Rpfleger 82, 286) oder schwere Krankheit eines der noch jungen Testatoren (Saarbr ErbR 22, 1107). Soll der überlebende Ehegatte die freie Verfügungsbefugnis über seinen Nachlass behalten (vgl Frankf ErbR 22, 501; Hamm ZErb 11, 279), so kann dies gegen die Wechselbezüglichkeit sprechen (BGH FamRZ 56, 84; BayObLGZ 87, 28), muss es aber nicht (BGH NJW 87, 901 [BGH 10.12.1986 - IVa ZR 169/85]). Denn uU legen Ehegatten, die einander für die Zeit nach dem Tod des einen von ihnen freie Hand lassen wollen, für die Zeit vorher Wert darauf, von einer Testamentsänderung des anderen unterrichtet zu werden (§ 2271 I; vgl BGH NJW 64, 2056; Stuttg NJW-RR 86, 632 [OLG Stuttgart 25.02.1986 - 8 W 553/85]).

 

Rn 3

Die Auslegungsregel lässt Wechselbezüglichkeit annehmen, wenn der Inhalt des Testaments entweder in wechselseitiger Begünstigung der Ehegatten besteht (Erbeinsetzung, Vermächtnis, Auflage) oder in der Berücksichtigung eines Verwandten oder Nahestehenden des vorversterbenden Ehegatten als Schlusserbe nach dem überlebenden Teil (vgl Ddorf ZEV 22, 596 m krit Anm Keim), nicht also, wenn der Verwandte von beiden Testatoren unmittelbar zum Erben eingesetzt wird (KG ErbR 21, 1042 [KG Berlin 12.02.2021 - 6 W 1071/20] m Anm Wendt) und auch nicht bei Begünstigung einer karitativen oder gemeinnützigen Organisation (München ZErb 18, 206).

 

Rn 4

Sind Verwandte beider Ehegatten als Schlusserben eingesetzt, besteht Wechselbezüglichkeit zwischen den Erbeinsetzungen der Ehegatten selbst und zwischen der Erbeinsetzung des Überlebenden einerseits und der Erbeinsetzung der Verwandten des Erstverstorbenen andererseits (Stuttg NJW-RR 92, 516; BayObLG NJW-RR 92, 1224; FamRZ 97, 1241). Bei Wegfall eines Schlußerben ohne Hinterlassung von Abkömmlingen umfasst die Wechselbezüglichkeit ggf die Wirkungen der Anwachsung (§ 2094 I; Nürnbg FGPrax 17, 183 [OLG Nürnberg 24.04.2017 - 1 W 642/17]). Die Erbeinsetzung der Verwandten des Überlebenden ist dagegen nicht ohne Weiteres davon erfasst (LM Nr 2; Hamm BeckRS 21, 23691), auch nicht die Einsetzung der gesetzlichen Erben (Ddorf ZEV 21, 513 m krit Anm Keim); der Überlebende kann daher insoweit im Zweifel neu verfügen (Brandbg FamRZ 99, 1543). Die Erbeinsetzung gemeinsamer Kinder erfolgt regelmäßig wechselbezüglich (BGHZ 149, 363; Bambg FamRZ 16, 589, abw BayObLG ZEV 96, 189, krit dazu Leipold JZ 98, 709; vgl KG FamRZ 16, 1309 u Mayer ZEV 16, 420). Dies gilt besonders, wenn die jeweilige Verfügung mit einer Wiederverheiratungsklausel (BGH NJW 02, 1126 [BGH 16.01.2002 - IV ZB 20/01]) oder mit einem beiderseitigen Erb- und Pflichtteilsverzicht der Ehegatten einhergeht (Hamm Rpfleger 01, 72 [OLG Hamm 21.09.2000 - 15 W 272/00]). Auch Adoptivkinder sind Verwandte (KG FamRZ 83, 98). Ob einseitige Abstammung vom überlebenden Ehegatten, Schwägerschaft oder bewährte Freundschaft die Eigenschaft als ›nahestehende‹ Person begründet, ist jeweils im Einzelfall zu entscheiden. Dabei ist Zurückhaltung geboten (KG ZEV 18, 678 [LS]; München MittBayNot 08, 229; BayObLG FamRZ 91, 1234; KG FamRZ 93, 1252; Kobl ZErb 07, 282); das Patenkind zB ist ohne Weiteres keine ›nahestehende‹ Person (Hamm FamRZ 10, 1201). Für besondere Konstellationen bei ›Patch-work-Familien‹ vgl München ZEV 21, 250. Bei Zuwendungen an juristische Personen kann die Auslegungsregel des II nicht angewendet werden; die Wechselbezüglichkeit kann nur ggf durch Auslegung ermittelt werden (Staud/Kanzleiter Rz 31a). Bestimmen Eheleute mit gemeinsamen Abkömmlingen für jeden Fall gesetzliche Erbfolge, so kann darin eine wechselseitige Verfügung liegen (vgl Stuttg FamRZ 77, 274). Auch eine Pflichtteilsstrafklausel ggü den gemeinschaftlichen Kindern der Ehegatten kann uU auf eine bindende Schlusserbeneinsetzung hindeuten.

 

Rn 5

Tritt an die Stelle des in einem gemeinschaftlichen Testament durch wechselbezügliche Verfügung eingesetzten Schlusserben nach dessen Tod ein Ersatzerbe, dann ist dessen Einsetzung nach § 2270 II nur als wechselbezüglich anzusehen, wenn sich dem gemeinschaftlichen Testament zumindest durch ergänzende Auslegung der Wille der Testierenden zu dessen Berufung entnehmen lässt. Beruht die Berufung des Ersatzerben dagegen nur auf der Auslegungsregel des § 2069, dann greift § 2270 II nicht ein, weil dieser eine Verfügung zugunsten einer verwandten oder sonst nahe stehenden Person vora...

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