Gesetzestext

 

(1) Haben die Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament Verfügungen getroffen, von denen anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen sein würde, so hat die Nichtigkeit oder der Widerruf der einen Verfügung die Unwirksamkeit der anderen zur Folge.

(2) Ein solches Verhältnis der Verfügungen zueinander ist im Zweifel anzunehmen, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken oder wenn dem einen Ehegatten von dem anderen eine Zuwendung gemacht und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zu Gunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahe steht.

(3) Auf andere Verfügungen als Erbeinsetzungen, Vermächtnisse, Auflagen und die Wahl des anzuwendenden Erbrechts findet Absatz 1 keine Anwendung.

A. Begriff.

 

Rn 1

Letztwillige Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament der Ehegatten sind gem I wechselbezüglich, wenn ein ›Zusammenhang des Motivs‹ besteht (Prot V, 451; RGRK/Johannsen Rz 1) und eine Verfügung mit der anderen ›stehen und fallen‹ soll (RGZ 116, 149; KG FamRZ 17, 1786; sog testamentum correspectivum). Anders liegt es, wenn die Ehegatten einander oder mit Rücksicht auf den jew anderen einen Dritten bedenken, ohne aber die Wechselbezüglichkeit zu wollen (sog testamentum reciprocum). Die Wechselbezüglichkeit kann stillschweigend angeordnet sein (BayObLG FamRZ 93, 367). Ob sie jeweils gewollt ist, muss die Auslegung der Verfügungen ergeben (§§ 133, 2084), wobei dies für jede Verfügung des Testaments gesondert zu prüfen ist (BGH NJW-RR 87, 1410 [BGH 16.06.1987 - IVa ZR 74/86]), ggf sogar für Teile davon. Dass Verfügungen in der Wir-Form gehalten sind, genügt i Zw nicht (München 10.12.08 – 20 U 2303/08). Es kommt auch zunächst nicht darauf an, ob sich die Ehegatten wechselseitig bedenken (BayObLG NJW-RR 91, 1289 [BGH 17.04.1991 - XII ZR 15/90]) oder mit einem eingesetzten Dritten verwandt oder verschwägert sind (BayObLG NJW-RR 92, 1224 [BayObLG 28.04.1992 - 1Z BR 17/92]); dies fällt erst für die Auslegungsregel des II ins Gewicht. Die Auslegung setzt regelmäßig eine Klärung des genauen Inhalts der Verfügung voraus (LM Nr 2). Die Ehegatten können frei darüber bestimmen, ob und in welchem Maße ihre Verfügungen wechselbezüglich sein sollen (BGHZ 30, 266). Sie können daher auch eine bloß einseitige Abhängigkeit einer Verfügung vorsehen. Die Wechselbezüglichkeit kann ggf auch durch Ergänzung eines früheren Erbvertrags oder gemeinschaftlichen Testaments hergestellt werden (BayObLGZ 87, 27; BayObLG FamRZ 99, 1540; DNotZ 94, 794 m Anm Musielak). Wechselbezügliche Verfügungen können in jew verschiedenen Urkunden getroffen werden, wenn Verknüpfungswille besteht; langer Zeitabstand zwischen den Errichtungsakten muss nicht entgegenstehen (Hamm ZEV 18, 93 [OLG Hamm 12.09.2017 - 10 U 75/16]).

B. Auslegungsregel.

I. Wechselbezügliche Verfügungen.

 

Rn 2

Die Auslegungsregel des II greift ein, wenn zweifelhaft bleibt, ob Wechselbezüglichkeit oder Unabhängigkeit gewollt ist (BGH NJW-RR 87, 1411; Hamm FamRZ 07, 680; BayObLG FamRZ 97, 1242; Hamm NJWE-FER 01, 157). Um die Zweifel zu beseitigen, können zunächst nach den Grundsätzen der Andeutungstheorie außerhalb der Urkunde liegende Umstände berücksichtigt werden. Dazu gehören ggf Vermögenslosigkeit eines Teils (BayObLG FamRZ 84, 1155 bei Schlusserbeneinsetzung, einschr Hamm NJW-RR 95, 777, wenn Vermögen gemeinsam erarbeitet wurde; ähnl BayObLG FamRZ 95, 253; Brandbg FamRZ 99, 1543), Zuwendungen während der Ehe, Dankesschuld, Äußerungen des überlebenden Ehegatten (BayObLG Rpfleger 82, 286) oder schwere Krankheit eines der noch jungen Testatoren (Saarbr ErbR 22, 1107). Soll der überlebende Ehegatte die freie Verfügungsbefugnis über seinen Nachlass behalten (vgl Frankf ErbR 22, 501; Hamm ZErb 11, 279), so kann dies gegen die Wechselbezüglichkeit sprechen (BGH FamRZ 56, 84; BayObLGZ 87, 28), muss es aber nicht (BGH NJW 87, 901 [BGH 10.12.1986 - IVa ZR 169/85]). Denn uU legen Ehegatten, die einander für die Zeit nach dem Tod des einen von ihnen freie Hand lassen wollen, für die Zeit vorher Wert darauf, von einer Testamentsänderung des anderen unterrichtet zu werden (§ 2271 I; vgl BGH NJW 64, 2056; Stuttg NJW-RR 86, 632 [OLG Stuttgart 25.02.1986 - 8 W 553/85]).

 

Rn 3

Die Auslegungsregel lässt Wechselbezüglichkeit annehmen, wenn der Inhalt des Testaments entweder in wechselseitiger Begünstigung der Ehegatten besteht (Erbeinsetzung, Vermächtnis, Auflage) oder in der Berücksichtigung eines Verwandten oder Nahestehenden des vorversterbenden Ehegatten als Schlusserbe nach dem überlebenden Teil (vgl Ddorf ZEV 22, 596 m krit Anm Keim), nicht also, wenn der Verwandte von beiden Testatoren unmittelbar zum Erben eingesetzt wird (KG ErbR 21, 1042 [KG Berlin 12.02.2021 - 6 W 1071/20] m Anm Wendt) und auch nicht bei Begünstigung einer karitativen oder gemeinnützigen Organisation (München ZErb 18, 206).

 

Rn 4

Sind Verwandte beider Ehegatten als Schlusserben eingesetzt, besteht Wechselbezüglichkeit zwischen den Erbeinsetzungen der Ehegatten selbst und zwischen ...

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