Rn 1

Der Erfüllungsanspruch (s § 241 Rn 2124) ist einer von mehreren Rechtsbehelfen, mit denen die Pflicht(en) des Schuldners in Natur (sub specie) durchgesetzt werden kann. Nach der Grundkonzeption des Schuldrechts ist der Erfüllungsanspruch nicht von vornherein der ›primäre‹ Rechtsbehelf; er muss jedoch häufig geltend gemacht werden, bevor auf andere Rechtsbehelfe zurückgegriffen werden kann (s Vor § 275 Rn 10). Er ist nicht mehr das Rückgrat der Obligation (vgl Rabel Recht des Warenverkaufs I 375; aA MP Weller, Die Vertragstreue, 395–397). Die terminologische Behandlung des Erfüllungsanspruchs durch das Gesetz ist sehr unglücklich. Das Gesetz bezeichnet ihn in § 275 als ›Leistungspflicht‹ und stiftet damit überflüssige Verwirrung. Es geht nämlich gerade nicht um eine Pflicht iSd §§ 280, 323, sondern um die Folge der Verletzung einer solchen.

 

Rn 2

Die Vorschrift gilt auch für gesetzliche Erfüllungsansprüche, insbes solche aus § 812 (BGHZ 199, 123 Rz 26) und § 1004 (BGH NJW 08, 3122 Rz 17; 08, 3123 Rz 19 [keine Verdrängung durch § 912]; BGH NJW 10, 2341 [BGH 21.05.2010 - V ZR 244/09] Rz 9; aA Staud/Gursky [2006] § 1004 Rz 154; Gsell LMK 08, 266937; anders für § 985 Grüneberg/Grüneberg § 275 Rz 3). Wegen des abw zu bestimmenden Gläubigerinteresses dürften jedoch bei Ansprüchen aus dinglichen Rechten die Zumutbarkeitsschwellen bei § 275 II, III erheblich über denjenigen des Vertragsrechts liegen (vgl BGH NJW 07, 2183 f [BGH 16.03.2007 - V ZR 190/06] Rz 8 ff [Verwirkung von § 985 nur wenn ›schlechthin unerträglich‹]; BVerfG BeckRS 20, 14823 [zur Begrenzung der Inanspruchnahme nach § 1004 durch Art 14 I GG]). Entspr gilt für den gleichfalls erfassten öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch (BayVGH BayVBl 13, 473). Bei der schadensersatzrechtlichen Naturalrestitution geht § 251 II 1 vor. Zur Anwendung im Erbrecht s BGH ZEV 13, 330 [BGH 19.12.2012 - IV ZR 207/12] (Rücktritt nach § 2295).

 

Rn 3

§ 275 ist eine europarechtliche Umsetzungsnorm. Die amtliche Anmerkung verweist auf die inzwischen aufgehobene RL 1999/44/EG. Nunmehr setzt die Vorschrift indes Art 13 II und III der RL 2019/771/EU sowie Art 14 II der RL 2019/770/EU insoweit um, als sie die Grenzen des Nacherfüllungsanspruchs sowie die Grenzen des Wahlrechts des Käufers mitbestimmt. Für Abs 1 der Vorschrift ist dies unproblematisch; zu Abs 2 und 3 s Rn 18 und 29.

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