Rn 5

Vereinfachend wird der zentrale Haftungsstandard des BGB einer Haftung für Vorsatz und Fahrlässigkeit oft als ›Verschulden‹ angesprochen (zum Verschuldensprinzip s.o. Rn 3) und dazu auf § 276 I 1 verwiesen. Gegenbegriffe sind Zufall (§§ 287 S 2 [s dort Rn 3], 848) und (Leistungs- oder Gegenleistungs-)Gefahr (etwa §§ 270, 300 II [s dort Rn 5 ff], 446 [s dort Rn 13], 447, 644); zur höheren Gewalt s Rn 35, Rn 36. Freilich zeigt der Hs 2, dass es auf Verschulden in der Form des Vorsatzes oder der Fahrlässigkeit nur ankommt, wenn nicht andere – strengere oder mildere – Verantwortungsvoraussetzungen gesetzlich (zB §§ 521, 600) oder vertraglich geregelt sind; insbes die ›aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses‹ möglicherweise zu entnehmende ›Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos‹ kann zu verschuldensunabhängiger Haftung führen. § 276 I 1 hat also Auffangfunktion: Man haftet jedenfalls für Vorsatz und Fahrlässigkeit (sofern nicht eine Haftungsmilderung vorgesehen ist), vielfach aber schärfer. Diese Auffangfunktion führt dazu, dass die Haftung für Verschulden nicht die Regel und eine strengere Haftung nicht die Ausnahme ist, so dass sich die mildere Haftung bei ungeschriebenen Haftungstatbeständen nicht automatisch durchsetzt (für das neue Recht nicht mehr haltbar daher BGH NJW 07, 357, 360 Rz 42; BGH NJOZ 07, 3210, 3213 Rz 19); das gilt erst recht dort nicht, wo die Haftung EU-rechtlich veranlasst ist (s Kulke NJW 07, 360, 361 [BGH 19.09.2006 - XI ZR 204/04]; vgl Schmidt-Kessel FS Löwisch 325, 330 ff). Fehlt es an einer Verschärfung und genügt der Schuldner den Regelstandards nach § 276 I 1, trägt der Gläubiger das Risiko eines eintretenden Schadens (BGH VersR 06, 982). Der letztgenannte Bereich lässt sich – zynisch – als derjenige des ›allgemeinen Lebensrisikos‹ begreifen (Schmidt-Kessel/Müller 9)

I. Vorsatz.

 

Rn 6

Vorsatz wird definiert als ›Wissen und Wollen des Erfolges im Bewusstsein der Pflichtwidrigkeit‹ (RGZ 72, 4, 6; BGH BeckRS 13, 20203 Rz 12). Zivilrechtlich relevante Formen sind der direkte Vorsatz, wenn der Erfolg als notwendige Folge eines bestimmten Verhaltens vom Handelnden vorausgesehen und gewollt ist (BGH BeckRS 13, 20203 Rz 12; Staud/Löwisch/Caspers [2009] § 276 Rz 22), und der bedingte Vorsatz, wenn der Handelnde sich den Erfolg nur als möglich vorgestellt und für den Fall seines Eintritts billigend in Kauf genommen hat (Staud/Löwisch/Caspers [2009] § 276 Rz 23). Bedingter Vorsatz ist von der bewussten Fahrlässigkeit abzugrenzen: Beim bedingten Vorsatz wird die als möglich erkannte Folge vom Handlungswillen umfasst, während bei der bewussten Fahrlässigkeit der Täter nicht gehandelt hätte, wenn er den Eintritt der Folge, die ihm an sich als Möglichkeit bewusst war, erwartet hätte. Für bedingten Vorsatz genügt es nicht, dass die relevanten Umstände objektiv erkennbar waren und sich dem Schuldner aufdrängen mussten (BGH BeckRS 13, 20203 Rz 12).

 

Rn 7

Die Bedeutung der Abgrenzung von der Fahrlässigkeit ist vergleichsweise gering, da regelmäßig auch für Fahrlässigkeit gehaftet wird (s BGH VersR 06, 106, 107 f Rz 24 [aber keine Bindungswirkung der Verurteilung wegen Fahrlässigkeit im Deckungsprozess gegen den Haftpflichtversicherer]). § 276 III wird praktisch durch § 309 Nr 7 weitgehend überspielt. Besonderheiten gelten jedoch bei der Freizeichnung bzw Haftungsbeschränkung bestimmter Dienstleistungsberufe (vgl § 52 BRAO, § 67a StBerG, § 54a WPO) sowie für einige verjährungsrechtliche Vorschriften (etwa § 439 HGB [dazu Frankf VersR 06, 390]). IÜ ist die entscheidende Grenze vielfach diejenige zwischen einfacher und grober Fahrlässigkeit (s Rn 20, Rn 21). Bedeutung hat die Unterscheidung von Vorsatz und Fahrlässigkeit va noch für die deliktische Haftung im Zusammenhang mit § 823 II, da bei einem Schutzgesetz, das nur vorsätzlich verletzt werden kann, auch die zivilrechtliche Haftung Vorsatz voraussetzt (s § 823 Rn 237).

 

Rn 8

Das Bewusstsein der Pflichtwidrigkeit ist im Zivilrecht nach der sog Vorsatztheorie grds Voraussetzung einer vorsätzlichen Pflichtverletzung (vgl RGZ 72, 4, 6; BGH NJW 85, 134, 135 m Anm Deutsch; BGHZ 115, 286, 299). Ein Verbotsirrtum schließt den Vorsatz daher aus. Wer etwa irrig davon ausgeht, ein Zurückbehaltungsrecht zu haben, hat die dadurch verursachte Leistungsverzögerung jedenfalls nicht vorsätzlich verursacht (Schlechtriem/Schmidt-Kessel Schuldrecht AT Rz 570). Allerdings macht die Rspr eine Ausnahme und wendet die Schuldtheorie bei § 823 II an, falls das verletzte Schutzgesetz eine Strafnorm ist und für die strafrechtliche Verantwortung des Täters deshalb die Schuldtheorie gelten würde (BGH NJW 85, 134, 135 [BGH 10.07.1984 - VI ZR 222/82] [zu § 5 GSB]). Abw hat früher auch das BAG entschieden (BAGE 1, 69, 79 [BAG 15.09.1954 - 1 AZR 258/54]).

II. Fahrlässigkeit.

 

Rn 9

Fahrlässigkeit ist tatsächlich der regelmäßige Haftungsstandard; sie wird als ›Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt‹ definiert (§ 276 II). Aufzubringen ist also die ›erforderliche‹, nicht nur die ›ü...

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