Gesetzestext

 

(1) 1Wer aus einem gegenseitigen Vertrag verpflichtet ist, kann die ihm obliegende Leistung bis zur Bewirkung der Gegenleistung verweigern, es sei denn, dass er vorzuleisten verpflichtet ist. 2Hat die Leistung an mehrere zu erfolgen, so kann dem Einzelnen der ihm gebührende Teil bis zur Bewirkung der ganzen Gegenleistung verweigert werden. 3Die Vorschrift des § 273 Abs. 3 findet keine Anwendung.

(2) Ist von der einen Seite teilweise geleistet worden, so kann die Gegenleistung insoweit nicht verweigert werden, als die Verweigerung nach den Umständen, insbesondere wegen verhältnismäßiger Geringfügigkeit des rückständigen Teils, gegen Treu und Glauben verstoßen würde.

A. Funktion.

 

Rn 1

Entspr der Maxime ›ohne Leistung keine Gegenleistung‹ (Vor § 320 Rn 2) muss der (nicht vorleistungspflichtige, vgl u. Rn 3) Gläubiger schon vor dem Auftreten von Leistungsstörungen davor geschützt werden, die Leistung erbringen zu müssen, ohne die Gegenleistung zu erhalten. Der Gläubiger soll daher einredeweise eine Erfüllung Zug um Zug (§ 322) verlangen können. Dieses Leistungsverweigerungsrecht übt auf den Schuldner Druck aus, die Gegenleistung wenigstens anzubieten (BGHZ 116, 244, 249; BGH MDR 22, 357 Rz 18). Auch wird der Gläubiger vor dem Risiko aus einer (nicht geschuldeten) Vorleistung geschützt. Daraus ergibt sich auch, dass die Einrede derjenigen Partei nicht zusteht, die deutlich gemacht hat, dass sie nicht am Vertrag festhalten will (BGH NJW 02, 3541; WM 13, 1720 Tz 26). Zu kautelarjuristischen Möglichkeiten der Absicherung gegen Vorleistungsrisiken Moes ZfPW 17, 201.

B. Voraussetzungen.

I. Gegenseitigkeit der Forderungen.

 

Rn 2

I 1 spricht von Leistung und Gegenleistung. Daraus folgt, dass hier die fraglichen, aus einem wirksamen gegenseitigen Vertrag stammenden Pflichten miteinander in einem synallagmatischen Zusammenhang stehen müssen (vgl § 323 Rn 2; RGZ 54, 123, 125). Dies gilt wegen § 348 S 2 auch für das Rückgewährschuldverhältnis. Bei anderen Pflichten kann sich ein Leistungsverweigerungsrecht nur aus dem (schwächeren) § 273 ergeben (MüKo/Emmerich Rz 35). Nicht unter § 320 fällt zB die Rückgabepflicht des Mieters aus § 546 (RGZ 108, 137, 138). Der Mieter kann also die Rückgabe nicht nach § 320 verweigern, weil er noch Forderungen aus dem Mietvertrag habe. Auch für die Rückabwicklung nichtiger Verträge gelten die §§ 320 ff nicht (BGHZ 150, 138, 144). Zur Bedeutung des § 320 im Insolvenzverfahren BGH ZIP 10, 238; Brechtel ZInsO 17, 1144; zur Geltendmachung im Urkundsprozess BGH NJW 22, 1378.

II. Keine Vorleistungspflicht.

 

Rn 3

Nach Wortlaut und Sinn des § 320 wird ein Leistungsverweigerungsrecht des Gläubigers durch seine Pflicht zur Vorleistung ausgeschlossen. Eine solche Pflicht kann auf Gesetz oder Vereinbarung beruhen. Gesetzliche Vorschriften über Vorleistungspflichten sind etwa die §§ 556b, 579, 581 II, 587 I, 614, 640, 641. Dabei hat der Werkunternehmer freilich nur insofern vorzuleisten, als er das Werk zunächst ohne Gegenleistung fertigstellen muss; die Vergütung kann er dann Zug um Zug gegen die Abnahme verlangen, § 641. Doch wird die Vorleistungspflicht jetzt durch § 632a abgeschwächt. Vorleistungspflichten aufgrund einer Vereinbarung liegen insb in einer Kreditierung der Gegenleistung, zB bei Abzahlungsgeschäften. Das Reisevertragsrecht des BGB enthält keine von § 320 abweichende Vorleistungspflicht, BGHZ 203, 335 Rz 19.

 

Rn 4

Bei Vorleistungspflichten ist zu unterscheiden zwischen beständigen und unbeständigen. Bei letzteren sind für Leistung und Gegenleistung voneinander verschiedene feste Termine bestimmt. Nach Eintritt des früheren Termins ist der betroffene Schuldner zunächst vorleistungspflichtig; das endet aber, sobald auch der spätere Termin eingetreten ist. Danach gilt also wieder § 320. Dagegen besteht bei der beständigen Vorleistungspflicht stets ein Abstand zwischen den Terminen (zB ›Zahlung vier Wochen nach Lieferung‹); hier gilt § 320 für die später zu erbringende Leistung ausnahmslos.

 

Rn 5

Für die Vereinbarung über eine Vorleistungspflicht sind im Handelsverkehr vielfach Klauseln üblich, so etwa ›Netto Kasse gegen Faktura‹; danach muss sofort nach Eingang der Rechnung gezahlt werden, entspr bei ›Kassa gegen Konnossement‹ (RGZ 59, 23, 25). Häufig sind Vorleistungspflichten des Bestellers bei umfangreichen Werkverträgen, wo bestimmte Teile schon nach deren Fertigstellung bezahlt werden müssen (vgl § 632a). Auch sog Smart Contracts enthalten faktisch eine Abbedingung des Zurückbehaltungsrechts (Wagner AcP 222, 56, 79 ff).

 

Rn 6

Unwirksam wird eine Vorleistungspflicht nach § 321. Darüber hinaus kommt § 242 in Betracht. So soll eine Vorleistung etwa unzumutbar sein, wenn der Empfänger die ihm obliegende Gegenleistung ernsthaft und endgültig verweigert (vgl BGHZ 50, 175, 177), zB weil er die Vertragswirksamkeit leugnet (BGHZ 88, 240, 248 mN; MüKo/Emmerich Rz 31). Gleiches gilt, wenn er sich mit einem Rücktritt verteidigt. Doch lebt die Vorleistungspflicht wieder auf, wenn der Vorleistungsgläubiger seine eigene Verpflichtung doch noch vorbehaltlos anerkennt (BGHZ 88, 91, 97).

 

Rn 7

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