Rn 2

Der Begriff Verschulden bei Vertragsverhandlungen ist gem Erw 30 autonom auszulegen und betrifft nur außervertragliche Schuldverhältnisse, die im unmittelbaren Zusammenhang mit den Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrags stehen. Eingeschlossen sind die Verletzung der Offenlegungspflicht und der Abbruch von Vertragsverhandlungen, während Personenschäden, die während der Vertragsverhandlungen zugefügt werden, nach Art 4 oder anderen einschlägigen Regeln der VO zu beurteilen sind (Erw 30). Insgesamt wird die culpa in contrahendo in Art 12 enger gefasst als im deutschen Sachrecht und umfasst insb nicht die Fälle von Schutzpflichtverletzungen (wobei nicht nur Personen-, sondern auch Sachschäden, die durch solche Verletzungen verursacht werden, nach Art 4 beurteilt werden sollten, s.a. BeckOK/Spickhoff Art 12 Rz 3; Lüttringhaus RIW 08, 193, 197 f; Junker FS Köhler 325 ff; ausf zum Anwendungsbereich Ersoy Die culpa in contrahendo im europäischen Internationalen Privat- und Verfahrensrecht 20, 251 ff). Diese Einschränkung ist iRd Qualifikation wichtig für die Abgrenzung zwischen Art 12 und Art 4 (dazu insb Hocke IPRax 14, 305 ff; Ersoy Die culpa in contrahendo im europäischen Internationalen Privat- und Verfahrensrecht 20, 132 ff, 177 ff, beide mit unterschiedlichen Ansätzen; für ein Abstellen auf das transaktionsspezifische Risiko BeckOGK/Schinkels Art 12 Rz 28). Die Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten sollte wegen ihres engen Zusammenhangs mit dem Vertrag selbst ebenfalls nicht als Verschulden bei Vertragsverhandlungen iSd Art 12 qualifiziert, sondern nach der ROM I-VO angeknüpft werden (s.a. Heiss/Loacker JBl 07, 613, 639; Leible/Lehmann RIW 07, 721, 733; aA Gomille JZ 17, 289, 291; Ersoy Die culpa in contrahendo im europäischen Internationalen Privat- und Verfahrensrecht 20, 136 ff). Nicht ausdrücklich genannt, aber iRd fragmentarischen Definition von Erw 30 durchaus unter Art 12 subsumierbar (s insb Lüttringhaus RIW 08, 198; diff Ebke ZVglRWiss 10, 397, 435 f; aA Ersoy Die culpa in contrahendo im europäischen Internationalen Privat- und Verfahrensrecht 20, 199 ff) sind die Fälle einer Dritthaftung (zB Sachwalterhaftung, Eigenhaftung von Verhandlungsgehilfen, evtl auch Haftung für Angebot sittenwidriger Terminoptionsgeschäfte, Engert/Groh IPRax 11, 458, 468; Thole ZBB 11, 399, 405), denn hier greift Art 1 II lit c nicht (Art 1 Rn 4; Thole aaO), weil die haftungsbegründende Handlung regelmäßig im unmittelbaren Zusammenhang mit Vertragsverhandlungen steht. Für die Einbeziehung dieser Fälle spricht auch, dass für Art 12 II sonst kaum noch ein relevanter Anwendungsbereich verbliebe (s.u. Rn 6). Auch Verstöße gegen Antidiskriminierungsregeln im Vorfeld eines Vertrags können von Art 12 erfasst werden (Hoffmann/Bierlein ZEuP 20, 47, 52), während die diskriminierende Verweigerung einer Aufnahme von Vertragsverhandlungen der allgemeinen Anknüpfung nach Art 4 zuzuordnen ist (Hoffmann/Bierlein ZEuP 20, 47, 53). Die persönlichkeitsrechtlichen Aspekte dürften insofern nur eine untergeordnete Rolle spielen, sodass eine Anknüpfung nach der Rom II-VO trotz Art 1 II lit g angemessen erscheint (ähnl Hoffmann/Bierlein ZEuP 20, 47, 54).

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