Gesetzestext

 

Diese Verordnung berührt nicht die Anwendung der nach dem Recht des Staates des angerufenen Gerichts geltenden Vorschriften, die ohne Rücksicht auf das für das außervertragliche Schuldverhältnis maßgebende Recht den Sachverhalt zwingend regeln.

A. Ursprung und Inhalt.

 

Rn 1

Die Vorschrift regelt in Parallele zu Art 9 ROM I, aber mit beträchtlichen Abweichungen, Eingriffsnormen. Allerdings gibt sie keine Definition der Eingriffsnorm und regelt auch nur die Eingriffsnormen der lex fori, lässt also vieles offen. Die Kommissionsvorschläge waren weiter gegangen (Freitag IPRax 09, 110 ff). Eine Regelung der Eingriffsnormenproblematik bei außervertraglichen Schuldverhältnissen ist, soweit überhaupt erörtert, gelegentlich für überflüssig gehalten worden, da die einschlägigen Kollisionsregeln staatliche Steuerungsinteressen bereits berücksichtigen (dazu Wagner IPRax 08, 1, 15). Eine verbreitete Ansicht hält die praktische Bedeutung von Art 16 für gering (Grüneberg/Thorn Art 16 Rz 5), manche rechtfertigen ihn mit der Rechtswahlmöglichkeit nach der VO (etwa Bureau/Watt Droit international privé, 07, II Nr 1008; ebenso Calliess/Renner/v Hein Art 16 Rz 2; krit Wagner ebda). Es gibt aber durchaus Anwendungshypothesen (s.u. Rn 3). Neben Art 16 steht der ordre public, Art 26.

B. Eingriffsnorm.

 

Rn 2

Für den Begriff der Eingriffsnorm kann man, wie der EuGH nun bestätigt hat (C-149/18 – Da Silva Martins, EuZW 19, 134 = ECLI:EU:C:2019:84, Rz 28), – auf Art 9 I ROM I zurückgreifen (ebenso 13. Aufl; Junker RIW 10, 257, 268; MüKo/Junker Art 16 Rz 13; Leible ROM I und ROM II: Neue Perspektiven im Europäischen Kollisionsrecht S 62, Erman/Stürner Art 16 Rz 4; Ebke ZVglRWiss 109 [2010], 441; Garcimartín Alferez EuLF 08, I-61, I-77 Nr 75; im Ergebnis wohl auch Grüneberg/Thorn ROM II 16 Rz 1 und 4; BRHP/Spickhoff Art 16 Rz 2; ebenso Plender/Wilderspin 27–009), der seinerseits auf die EuGH-Entscheidung Arblade zurückgeht (s Art 9 ROM I Rn 2). Allerdings geht es hier um außervertragliche Schuldverhältnisse und jedenfalls das Deliktsrecht ist schon selbst von der Wahrung öffentlicher Interessen geprägt. Die Eingriffsnormproblematik ist bisher va bei vertraglichen, wenig bei außervertraglichen Schuldverhältnissen (BRHP/Spickhoff Art 16 Rz 3) aufgetreten und erörtert (s aber Schramm Ausländische Eingriffsnormen im Deliktsrecht, 05; v Hoffmann FS Henrich 283 ff). Sicherheits- und Verhaltensregeln fallen unter Art 17, nicht Art 16.

C. Eingriffsnormen der lex fori.

 

Rn 3

Jedenfalls lassen sich verschiedene Konstellationen und Beispiele der Anwendung denken. Es kommen speziell insb haftungsbegründende wie haftungsausschließende Eingriffsnormen in Betracht (ähnl Schramm 12 ff). Haftungsbegründend ist an Straftatbestände oder Verbotsgesetze im Zusammenhang ihrer haftungsrechtlichen Bewehrung wie in § 823 II zu denken (BRHP/Spickhoff Rz 3); dabei sind wohl die Normen des Internationalen Strafrechts wie in den §§ 3 ff StGB zu beachten (BRHP/Spickhoff ebda; aA v Hoffmann). Auch § 84 AMG (Grüneberg/Thorn Art 16 Rz 5. HK/Dörner Art 16 Rz 3; Soergel/Pfeiffer Art 16 Rz 22) sowie Kartellrecht und § 185 (ex 130) II GWB sind generell Eingriffsnormen, doch wird Art 6 III ROM II den Rückgriff auf Art 16 im Kartellrecht meist entbehrlich machen (vgl Grüneberg/Thorn Art 16 Rz 5; HK/Dörner Art 16 Rz 3; Erman/Stürner Art 16 Rz 7; vgl a BRHP/Spickhoff Rz 3; zum EnWG s Kühne FS Ahrens 623, 634 f). In Frankreich wird etwa auch das wettbewerbsrechtliche Verbot der Auferlegung deutlich unangemessener Pflichten als Eingriffsnorm betrachtet (Cass. 8.7.20 17–31.536, ECLI:FR:CCASS:2020:CO00314-Expedia). Auch das AGG kann ggf wohl als Eingriffsnorm wirken (Soergel/Pfeiffer Art 16 Rz 23 mwN). Ob Prospekthaftungsvorschriften Eingriffsnormen sind, ist str (abl v Hein in: Perspektiven des Wirtschaftsrechts, 08, 371, 387 ff), zw ist § 829 (abl Kühne FS Deutsch, 828 f). Sorgfaltsanforderungen nach dem am 1.1.23 in Kraft getretenen LkSG begründen nach § 3 Abs 3 S 1 keine zivilrechtliche Haftung, weswegen vor diesem Hintergrund und dem Gesetzgebungsverfahren eine Einordnung als Eingriffsnorm überwiegend abgelehnt wird (s etwa Krebs ZUR 21, 394, 401; BeckOGK/Maultzsch Art 16 Rz 76; a wohl Ehmann ZVertriebsR 21, 141, 150; Rühl/Knauer JZ 22, 105, 109 f; Paefgen ZIP 21, 2006, 2015 f; auch Wagner ZIP 21, 1095, 1104 f), doch wird dies bei der vorgeschlagenen RiL wohl anders sein (vgl Art 22 V in COM(2022) 71). Art 82 DSGVO ist nach Maßgabe von deren Art 3 anzuwenden und kann unter Art 16 ROM II-VO fallen (Lüttringhaus ZVglRWiss 117 (2018) 50, 72 ff; vgl a Segger-Piening in: Duden ua, IPR für eine bessere Welt, 22, 107, 119), soweit man nicht die Ausnahme des Art 2 I lit. g Rom II-VO eingreifen lässt (Kohler Riv dir int priv proc 16, 653, 673). Haftungsausschließend ist an Regeln über den Arbeitskampf (Erwägungsgrund 28; Heinze RabelsZ 09, 788; vgl Grüneberg/Thorn Art 16 Rz 5), den Ausschluss eigener deliktischer Außenhaftung von Arbeitnehmern und Beamten (Grüneberg/Thorn Art 16 Rz 5; differenzierend Schramm 71 ff; anschaulich v Hoffmann 294 f), immissionsschutzrech...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge