Gesetzestext

 

(1) Im Sinne dieser Verordnung umfasst der Begriff des Schadens sämtliche Folgen einer unerlaubten Handlung, einer ungerechtfertigten Bereicherung, einer Geschäftsführung ohne Auftrag (›Negotiorum gestio‹) oder eines Verschuldens bei Vertragsverhandlungen (›Culpa in contrahendo‹).

(2) Diese Verordnung gilt auch für außervertragliche Schuldverhältnisse, deren Entstehen wahrscheinlich ist.

(3) Sämtliche Bezugnahmen in dieser Verordnung auf

a) ein schadensbegründendes Ereignis gelten auch für schadensbegründende Ereignisse, deren Eintritt wahrscheinlich ist, und
b) einen Schaden gelten auch für Schäden, deren Eintritt wahrscheinlich ist.
 

Rn 1

Der in Art 1 vorausgesetzte Begriff der außervertraglichen Schuldverhältnisse, der maßgeblich den sachlichen Anwendungsbereich der VO bestimmt, wird in Art 2 konkretisiert. IRd autonomen Auslegung des Begriffs (Erw 11) ist die Abgrenzung zu vertraglichen Schuldverhältnissen, für welche die ROM I-VO gilt, maßgeblich. Sie kann ähnlich erfolgen wie diejenige zwischen Art 7 Nr 1 und Nr 2 Brüssel Ia-VO (s.a. Schack in v Hein/Rühl Kohärenz im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht der Europäischen Union 16, 279, 288). Danach setzt ein Vertrag eine freiwillig eingegangene Verpflichtung voraus (zB EuGH Slg 92, I-3967 Rz 15; 98, I-6511 Rz 17; 02, I-7357 Rz 23; 04, I-1543 Rz 24; 05, I-481 Rz 50 – zu Art 5 Nr 1 EuGVVO aF), außervertragliche Schuldverhältnisse erfassen den verbleibenden Bereich (vgl auch EuGH NJW 16, 2727 Rz 37). Was vertragliche Verpflichtungen im Einzelnen umfassen, wird in Art 12 ROM I präzisiert. Als vertraglich sind daher zB auch die Folgen der Nichterfüllung oder Nichtigkeit des Vertrags zu qualifizieren, weiterhin einseitige rechtsgeschäftliche Verpflichtungen (MüKo/Junker Art 1 Rz 15 f mwN) sowie aufgrund eines Kontrahierungszwangs zustande gekommene Verträge (BeckOK/Spickhoff Art 1 Rz 9). Ausdrücklich als schadensrechtlich qualifiziert werden in Art 2 I hingegen sämtliche Folgen einer unerlaubten Handlung, einer ungerechtfertigten Bereicherung, einer Geschäftsführung ohne Auftrag und insb auch eines Verschuldens bei Vertragsverhandlungen. Letzteres verdient aus Sicht des deutschen Rechts besondere Aufmerksamkeit, zumal das Verständnis der culpa in contrahendo ein engeres als das herkömmliche deutsche ist und Schutzpflichtverletzungen nicht erfasst (diese werden unmittelbar als deliktsrechtlich qualifiziert, s.u. Art 12 Rn 2). Auch Ansprüche aus Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte dürften als deliktsrechtlich zu qualifizieren sein (s mit überzeugenden Argumenten Dutta IPRax 09, 293, 296 ff). Weiterhin sind Ansprüche aus Eigentümer-Besitzer-Verhältnis sowie nachbarrechtliche Ansprüche als außervertraglich zu qualifizieren (Grüneberg/Thorn Art 1 Rz 5; zu Grenzen Art 7 Rn 1). Problematisch bleibt die Qualifikation in Randbereichen: So wurden Ansprüche aus Gewinnzusagen im internationalen Zuständigkeitsrecht bislang als vertragsrechtlich qualifiziert (EuGH Slg 02, I-6367 Rz 59 – zu Art 13 I Nr 3 EuGVÜ; 05, I-481 Rz 60 f). Andererseits weisen sie eine Nähe zur culpa in contrahendo auf, die nunmehr als außervertraglich qualifiziert (wenngleich nach dem potentiellen Vertragsstatut angeknüpft) wird. Da ein Gleichlauf von Zuständigkeits- und Kollisionsrecht ohnehin nicht vollständig zu verwirklichen ist (s nur Art 4 Rn 4), erscheint wegen der Nähe zum Verschulden bei Vertragsschluss eine Zuordnung zu Art 12 passender als eine vertragsrechtliche Qualifikation (aA zB Grüneberg/Thorn Art 1 Rz 4; diff MüKo/Junker Art 1 Rz 22). Man wird dann zwar im Ausgangspunkt, wegen Art 12 I aber nicht unbedingt im Ergebnis mit der früheren Rspr des BGH (IPRax 06, 602 [BGH 01.12.2005 - III ZR 191/03]) brechen müssen. Auch Ansprüche wegen der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen dürften als außervertraglich zu qualifizieren sein (s etwa Wendehorst IPRax 20, 489, 493; diff Vollmöller IPRax 21, 417, 418 f), weil sie nicht zwingend auf vertraglich eingegangenen Verpflichtungen beruhen. Problematisch ist auch die Einordnung der Gläubigeranfechtung: Da eine Qualifikation als delikts- oder bereicherungsrechtlich nicht überzeugt (s nur MüKo/Junker Art 1 Rz 19 f), bleibt nach Wegfall der Auffangklausel in Art 9 I des ersten Entwurfs zur ROM II-VO (KOM [03] 427 endg) praktisch nur noch die Möglichkeit einer Einordnung als von der ROM II-VO nicht erfasste Materie des Vertragsrechts. Für Haftungsfragen in Stellvertretungskonstellationen ist die Qualifikation ebenfalls problematisch, zumal diese Materie aus der ROM I-VO (Art 1 II lit g ROM I) ausgeklammert wurde. Wegen des engen Zusammenhangs mit einem angestrebten Schuldverhältnis erscheint hier insgesamt eine vertragsrechtliche Qualifikation und damit eine Anknüpfung nach nationalem IPR sinnvoll (so für die Haftung des falsus procurator auch Behnen IPRax 11, 221 ff; aA für die Rechtsscheinhaftung Bach IPRax 11, 116 ff). Für die Geltung des Deliktsstatuts bei Konkurrenz vertraglicher und deliktischer Ansprüche (s Kobl NJW-RR 08, 148, ...

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