Rn 43

Bei einer nicht vertragsgemäßen Leistung (was im Gegensatz zu V 1 einen Qualitätsmangel meint) soll der Gläubiger wegen einer unerheblichen Pflichtverletzung nicht zurücktreten können, V 2. Das findet für den Schadensersatz statt der Leistung eine Parallele in § 281 I 3. Beides steht im Gegensatz zu § 459 I 2 aF, wonach eine unerhebliche Minderung des Wertes oder der Tauglichkeit nicht als Mangel in Betracht kam, also dem Gläubiger keinerlei Rechte gewährte. Demgegenüber ist die neue Regelung vorzugswürdig: Es ist sachlich gerechtfertigt, die besonders scharfen Sanktionen Rücktritt und Totalschadensersatz statt der Leistung an strengere Voraussetzungen zu binden als etwa die Minderung oder den Nacherfüllungsanspruch.

 

Rn 44

Für die Frage nach der Unerheblichkeit dürfen wegen der geänderten Bedeutung die strengen Maßstäbe von § 459 I 2 aF nicht übernommen werden. Eher dürften die bei § 281 I 3 verwendeten Kriterien passen (vgl § 281 Rn 32; für Bsp auch Grüneberg/Grüneberg Rz 32). Erforderlich ist eine umfassende Interessenabwägung auf Grundlage der Umstände des Einzelfalls (BGH ZIP 20, 419 Rz 46). Nach der Rspr des BGH ist die Geringfügigkeitsschwelle bei einem behebbaren Sachmangel bereits dann als erreicht anzusehen, wenn der Mangelbeseitigungsaufwand einen Betrag von fünf Prozent des Kaufpreises überschreitet (BGHZ 201, 290 Rz 12, 30; BGH NJW 17, 153 Rz 28; s.a. Celle MDR 18, 273). Ein zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung aufgrund unklarer Mangelursache und mehrerer vorausgegangener Reparaturversuche erheblicher Mangel wird nicht zu einem geringfügigen, wenn sich später herausstellt, dass der Mangel mit relativ geringfügigem Aufwand behoben werden kann (BGH NJW 11, 3708; zur Erheblichkeit bei behebbarem Mangel auch BGH NJW 11, 2872; BGHZ 201, 290; ZIP 16, 624; dazu Riehm GPR 14, 309; Faust JZ 15, 149). Der Verstoß gegen eine Beschaffenheitsvereinbarung soll bereits die Erheblichkeit der Pflichtverletzung indizieren (BGH NJW 13, 1365 [BGH 06.02.2013 - VIII ZR 374/11]). In den Diesel-Fällen greift V 2 regelmäßig nicht (BGH MDR 23, 166; so bereits Karlsr 17.8.21 – 17 U 325/19 Rz 34 ff mN zur obergerichtlichen Rspr). Auch die Eintragung eines PKW in das SIS ist erheblicher Mangel (BGH NJW 17, 1666 [BGH 18.01.2017 - VIII ZR 234/15] Rz 22; NJW 17, 3292 Rz 10). Zur Beurteilung der Unerheblichkeit ist auf den Zeitpunkt der Rücktrittserklärung abzustellen (BGH NJW 11, 3708; BGHZ 201, 290 Rz 16; NJW 17, 153 Rz 29; DAR 18, 78 Rz 14). Ein Sachmangel an einem PKW ist idR erheblich, wenn er sich auf die Betriebserlaubnis auswirkt (BGHZ 224, 195 Rz 51 ff).

 

Rn 45

Bei arglistigem Verhalten des Schuldners soll nach BGHZ 167, 19, 23 idR Erheblichkeit vorliegen (zum vergleichbaren Fall bei II Nr 3 Rn 36). Daran ist problematisch, dass nach der Ansicht des BGH die in V 2 vorgesehene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls bei Arglist regelmäßig ausfällt. Überdies hat die Norm nur vertragliches Verhalten im Blick; für das vorvertragliche Verschweigen eines Mangels etwa erscheint der Anspruch aus cic passender; überdies greift § 123 (näher Stürner Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldvertragsrecht 10, 243 ff).

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