Rn 83

Der Dienstverpflichtete hat seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis so zu erfüllen, seine Rechte so wahrzunehmen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen so zu wahren, wie dies von ihm nach Treu und Glauben billigerweise verlangt werden kann. Diese Treuepflicht wirkt über die Dauer des Arbeitsverhältnisses hinaus. Schwerwiegende Verstöße, zB Annahme von Schmiergeld, können eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen (BAG EzA Nr 7 zu § 626 – ›Unkündbarkeit‹; AP Nr 175 zu § 626), in minder schweren Fällen eine Abmahnung und im Wiederholungsfall dann eine ordentliche Kündigung (§ 620 Rn 65 ff).

aa) Unterlassung von Wettbewerb und Nebentätigkeiten.

 

Rn 84

Während der Dauer des Arbeitsverhältnisses muss der ArbN Wettbewerb unterlassen (vgl § 110 GewO; BAG NZA 13, 748), ferner Nebentätigkeiten, soweit das Arbeitsverhältnis dadurch beeinträchtigt wird (BGH NZA 20, 952). Die Aufnahme einer Nebentätigkeit kann weiterhin vertraglich unter Genehmigungspflicht gestellt werden (BAG NZA 20, 952 [BAG 19.12.2019 - 6 AZR 23/19]). Der ArbN darf während des Arbeitsverhältnisses einen Arbeitsvertrag bei einem Konkurrenzarbeitgeber unterzeichnen oder den Aufbau eines eigenen Konkurrenzunternehmens durch formale oder organisatorische Maßnahmen vorbereiten (BAG DB 72, 1831 [BAG 12.05.1972 - 3 AZR 401/71]), nicht aber die Arbeit bei seinem neuen ArbG aufnehmen oder bei Kunden des ArbG zur Möglichkeit späterer Geschäftsbeziehungen ›vorfühlen‹ (BAG DB 70, 1645 f [BAG 24.04.1970 - 3 AZR 324/69]) oder diese gar abwerben (BAG NZA 13, 748 [BAG 16.01.2013 - 10 AZR 560/11]; iE BLDH/Diller Kap 25; Bauer/Diller Wettbewerbsverbote S. 13 ff). Ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot bedarf der schriftlichen Vereinbarung (§ 74 I HGB) und ist ohne Karenzentschädigung, § 74 II HGB, nichtig (BAG NZA 17, 845), bei Nichtzahlung der Karenzentschädigung kann ArbN vom nachvertraglichen Wettbewerbsverbot zurücktreten (BAG NZA 18, 578).

bb) Verschwiegenheitspflicht.

 

Rn 85

Der ArbN ist unabhängig von arbeitsvertraglichen und spezialgesetzlichen Regelungen (vgl §§ 4 GeschGehG, 79 BetrVG, 13 2 Nr 6 BBiG, 24 II ArbNErfG, 93 I 2, 116 AktG, 53 BDSG) zur Verschwiegenheit über Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse verpflichtet (BAG DB 09, 1131). Die Pflicht umfasst auch Tatsachen, die die Person des ArbG oder eines Arbeitskollegen in besonderem Maße berühren und die der ArbN aufgrund seiner Tätigkeit im Betrieb erfahren hat (Küttner/Kreitner Nr 405 Rz 10). Sie gilt auch nachvertraglich, allerdings – sieht man von besonderen Regelungen (§ 79 I 2 BetrVG, § 53 BDSG) ab – wegen Art 12 I GG nur, soweit der ArbN dadurch in seiner weiteren beruflichen Tätigkeit nicht unzumutbar eingeschränkt wird (BAG NZA 88, 502). Eine Vereinbarung zur Verschwiegenheit über die Kundenliste des ehemaligen ArbG hindert den ArbN nicht, diese Kunden abzuwerben (BAG NZA 06, 1157 [BAG 28.06.2006 - 10 AZR 407/05]; 88, 502 [BAG 19.01.1988 - 3 AZR 263/86]); die Mitnahme der Daten ist jedoch unzulässig (BAG NZA 14, 1258 [BAG 08.05.2014 - 2 AZR 249/13]).

 

Rn 86

Zunehmend bedeutsam wird ›Whistleblowing‹, also die Anzeige betrieblicher Missstände ggü Dritten. Der ArbN muss nach bisheriger Rechtslage, soweit zumutbar, zunächst einen innerbetrieblichen Klärungsversuch unternehmen (BAG NZA 17, 703 [BAG 15.12.2016 - 2 AZR 42/16]; vgl EGMR NZA 11, 1269 [EGMR 21.07.2011 - Nr. 28274/08]), es sei denn, er ist zur Aussage verpflichtet (BVerfG NZA 01, 888 [BVerfG 02.07.2001 - 1 BvR 2049/00]). Nach – trotz Fristablaufs noch nicht umgesetzter – RL(EU) 2019/1937 (›WBRL‹) steht es dem ArbN hingegen frei, unmittelbar über einen externen Meldekanal Missstände zu melden. Unternehmen mit mindestens 50 ArbN müssen nach WBRL interne Meldekanäle einrichten. Zur Umsetzung der WBRL ist das sog Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) vorgesehen, dessen Gesetzgebungsverfahren bei Redaktionsschluss noch nicht abgeschlossen war, das aber voraussichtlich im Laufe des Jahres 2024 in Kraft treten wird (zum Gesetzentwurf Thüsing/Musiol BB 22, 2420).

cc) Sonstige Pflichten.

 

Rn 87

IRd Treuepflicht hat der ArbN die im Betrieb bestehende Ordnung zu beachten (zB Rauchverbote) und Kontrollen zu deren Aufrechterhaltung hinzunehmen, soweit sie nicht heimlich erfolgen und entwürdigend sind, Art 2 I iVm 1 I GG (zum Einsatz versteckter Videokameras EGMR NZA, 19, 1697; BAG NZA 17, 112 [BAG 22.09.2016 - 2 AZR 848/15]; 443 [BAG 20.10.2016 - 2 AZR 395/15]; zur offenen Videoüberwachung BAG NZA 19, 1212; 18, 1329), sich kollegial und kooperativ zu verhalten, wozu auch die Unterlassung von Mobbing (BAG DB 08, 2086) und Diskriminierung zählt (iE § 7 AGG Rn 13).

 

Rn 88

Der ArbN muss mit Arbeitsmitteln sorgfältig umgehen, Unfallverhütungs- und Arbeitsschutzvorschriften beachten und Störungen und Schäden aus seinem Arbeitsbereich anzeigen, um dem ArbG die erforderlichen Maßnahmen zu ermöglichen (vgl BAG NZA 09, 193; § 16 I ArbSchG). Keine Pflicht zur Selbstbezichtigung (BGH DB 89, 1464), aber zur Mitteilung von Pflichtverletzungen von Arbeitskollegen, wenn Personen- oder erhebliche Sachschäden drohen (BAG DB 70, 1598 [BAG 18.0...

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