Gesetzestext

 

(1) Besteht die Bürgschaft für eine Geldforderung, so muss die Zwangsvollstreckung in die beweglichen Sachen des Hauptschuldners an seinem Wohnsitz und, wenn der Hauptschuldner an einem anderen Ort eine gewerbliche Niederlassung hat, auch an diesem Ort, in Ermangelung eines Wohnsitzes und einer gewerblichen Niederlassung an seinem Aufenthaltsort versucht werden.

(2) 1Steht dem Gläubiger ein Pfandrecht oder ein Zurückbehaltungsrecht an einer beweglichen Sache des Hauptschuldners zu, so muss er auch aus dieser Sache Befriedigung suchen. 2Steht dem Gläubiger ein solches Recht an der Sache auch für eine andere Forderung zu, so gilt dies nur, wenn beide Forderungen durch den Wert der Sache gedeckt werden.

A. Normzweck und Bedeutung.

 

Rn 1

Die Vorschrift in § 772 I, II ergänzt § 771 für Geldforderungen (RGRK/Mormann § 772 Rz 2; Staud/Stürner § 772 Rz 2; Soergel/Gröschler § 772 Rz 1). Sie bestimmt den Umfang der erforderlichen Zwangsvollstreckungspflichten (s § 771 Rn 5 f). Sie ist nur von Bedeutung, wenn die Einrede der Vorausklage nicht abbedungen ist (s § 771 Rn 3).

 

Rn 2

Den Umfang der Vollstreckungspflichten beschränkt die Regelung auf die Zwangsvollstreckung in bewegliche Sachen an bestimmten Orten (I) sowie die Verwertung eines Pfandrechts und die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts (II). In andere Vermögenswerte muss der Gläubiger nach dem Wortlaut nicht vollstrecken, dh nicht in (1.) Immobiliarvermögen (Mot II 669 f: unter Hinweis auf den oft erheblichen Aufwand bei geringem Erfolg), (2.) Forderungen und insb Forderungen des Hauptschuldners aus Bankguthaben bei Banken an den in I genannten Orten (MüKoBGB/Habersack § 772 Rz 2). ZT wird in der Lit unter Hinweis auf die heutige Bedeutung des Buchgelds gefordert, dem Gläubiger unter entspr Anwendung von § 771 I auch die vorherige Vollstreckung in Bankkonten des Hauptschuldners abzuverlangen (so Staud/Stürner § 772 Rz 2). Dies mag für offensichtlich – zB aus dem Briefpapier des Hauptschuldners – bekannte Konten plausibel und sinnvoll sein, greift aber in die gesetzliche Ausbalancierung der Interessen von Gläubiger und Bürge ein (s Vor § 765 Rn 1). Grenzen sind schwer zu ziehen, insb bei bekannten, aber nur schwer zugänglichen Konten im Ausland. Deshalb ist es allein Sache des Gesetzgebers, § 772 abzuändern. Den Parteien steht es aber frei, dem Gläubiger im Bürgschaftsvertrag weitergehende Vollstreckungspflichten aufzuerlegen (s Rn 3).

 

Rn 3

Die Regelungen in § 772 sind wie die in § 771 dispositiv: Im Bürgschaftsvertrag können die Anforderungen an die Vollstreckungs- und Verwertungspflichten abw festgelegt werden.

B. Voraussetzungen.

I. Zwangsvollstreckung in bewegliche Sachen (Abs 1).

 

Rn 4

Die Regelung in I verlangt einen einzigen (s § 771 Rn 5) Vollstreckungsversuch am Wohnsitz des Hauptschuldners in sein bewegliches Vermögen: (1.) Für die Bestimmung des Wohnsitzes gelten die allg Regeln (§§ 7–11 sowie – für juristische Personen – §§ 24, 80 und RGZ 137, 1, 12 f: den für den Gerichtsstand iSd § 17 ZPO maßgebliche Verwaltungssitz; für Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten der EU s Art 63 EuGVVO nF); (2.) bewegliches Vermögen umfasst bewegliche Sachen und die ihnen nach § 821 ZPO gleichgestellten Wertpapiere. Hat der Hauptschuldner an einem von seinem Wohnsitz getrennten Ort eine gewerbliche Niederlassung (§§ 13, 29 HGB, § 14 GewO), muss der Gläubiger an beiden Orten die Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen versuchen. Ist weder der eine noch der andere Ort feststellbar, so ist die Vollstreckung am Aufenthaltsort des Hauptschuldners durchzuführen.

 

Rn 5

Unerheblich ist es nach § 772 I, ob sich der Wohnsitz, die Niederlassung oder der Aufenthaltsort im In- oder Ausland befindet. Der Gläubiger und der Bürge können sich beide über die Verhältnisse des Hauptschuldners bei Abschluss des Bürgschaftsvertrages informieren; wenn § 772 zur Anwendung kommt, haben sie die Möglichkeit, die Regelungen zur Vorausklage in §§ 771, 772 abzuändern (s Rn 3), nicht genutzt. Sie müssen sich daher an den Konsequenzen aus dem gesetzlichen Leitbild der Subsidiarität (Vor § 765 Rn 12) festhalten lassen. Wird die Vollstreckung später durch Veränderungen beim Hauptschuldner wesentlich erschwert, so beschränkt § 773 Nr 2 die Vollstreckungspflicht des Gläubigers.

II. Sachliche Vorausvollstreckung (Abs 1).

1. Einrede der sachlichen Vorausvollstreckung aus Abs 2 S 1.

 

Rn 6

In Anwendung des Vorrangs der Sachhaftung vor der Bürgenhaftung (s.a. § 777 2 ZPO) wird der Gläubiger durch die Bestimmung in § 772 II verpflichtet, seine Befriedungsversuche auf bewegliche Sachen auszudehnen, an denen er für seine Forderung ein Pfandrecht (§§ 1204 ff, 1257, 1293; § 804 ZPO) oder ein Zurückbehaltungsrecht (§§ 273, 1000; § 369 HGB) hat.

 

Rn 7

Unter dem Begriff der beweglichen Sachen fallen auch Inhaber- und Orderpapiere iSd §§ 1292 f (Staud/Stürner § 772 Rz 3), nicht aber Forderungen (Hambg SeuffA 74 Nr 209; Jauernig/Stadler § 772 Rz 1). Die Vorschrift ist entspr anwendbar auf Gegenstände, die im Sicherungs- oder Vorbehaltseigentum des Gläubigers stehen (MüKoBGB/Habersack § 772 Rz 5; Jauernig/Stadler § 772 Rz 1; aM RG SeuffA 75 Nr 93). Eine Ausnahme gilt bei (durch Bürgschaft abgesicherten) Teilzahlungsge...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge