Rn 22

Am Tatbestandsmerkmal ›durch die Leistung eines anderen‹ scheiden sich Leistungs- und Nichtleistungskondiktionen (grds zur Erforderlichkeit einer Differenzierung: Rn 8, 14 ff). Was geleistet ist, kann nicht zugleich ›in sonstiger Weise‹ erlangt sein. Leistungs- und Nichtleistungskondiktion schließen einander also aus (Alternativität). Einziges Kriterium für die Abgrenzung der beiden Kondiktionsformen ist nach dem Wortlaut des Gesetzes der Leistungsbegriff, der von diesem Boden über die weiter andauernden Bemühungen um die Entwicklung von allgemeingültigen und praktikablen Kriterien für die Abwicklung der Bereicherungsvorgänge in Mehrpersonenverhältnissen ins Zentrum des Bereicherungsrechts gerückt ist. Nach stRspr des BGH (grundlegend BGHZ 58, 184, 188; 111, 382; BGH NJW 04, 1169 mwN; zuletzt BGHZ 162, 167; NJW 05, 60; WM 07, 731 Rz 35; MDR 12, 952) und hL (statt vieler Staud/Lorenz § 812 Rz 4 ff; Reuter/Martinek 80 ff; Erman/Buck-Heeb § 812 Rz 11; AnwK/v Sachsen Gessaphe § 812 Rz 13; Medicus Rz 666, 686) ist unter einer Leistung iSd § 812 I 1 Alt 1 die bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens zu verstehen (BGH NZI 21, 197 [BGH 29.10.2020 - IX ZR 212/19] Rn 18; BGH JZ 21,784 [BGH 05.11.2020 - I ZR 193/19] Rn 16). Mit diesem Begriffsverständnis ist die früher allg anerkannte Definition der Leistung als ›bewusste Mehrung fremden Vermögens‹ (krit zum Erfordernis einer unmittelbaren Vermögensverschiebung MüKo/Schwab § 812 Rz 42 ff) um das Merkmal der Zweckgerichtetheit erweitert worden. Gerade darin stößt die hM auf eine gewisse Kritik (etwa Kupisch 14 ff; vgl hierzu insb auch Canaris FS Larenz, 799 ff, 857 ff und Larenz/Canaris II/2 § 70 VI 2, 248 f; zum Meinungsstand Staud/Lorenz § 812 Rz 4 ff mwN; umfassend Thomale Leistung als Freiheit 12).

 

Rn 23

Diese Kritik ist nur tw berechtigt, soweit sie einer allzu begrifflich-schematischen Überspitzung des modernen Leistungsbegriffs entgegenzuwirken sucht. Insb Canaris (aaO) hat aufgezeigt, dass die für einen geordneten Bereicherungsausgleich in Dreipersonenverhältnissen maßgeblichen Wertungskriterien normativen Ursprungs sind und sich nicht immer stimmig im Merkmal der Zweckgerichtetheit verankern lassen. Gleichwohl kommen auch Canaris und mit ihm viele andere Gegner der Zweckgerichtetheitshypothese bei der Lösung der meisten Problemfälle zu keinen anderen Ergebnissen als die hM. Das überrascht nicht, weil auch die hL jene Wertungskriterien im Grundsatz anerkennt (vgl AnwK/v Sachsen Gessaphe § 812 Rz 13; Erman/Buck-Heeb § 812 Rz 17 f) und der BGH mehrfach betont hat, dass sich ›bei der bereicherungsrechtlichen Behandlung von Vorgängen, an denen mehr als zwei Personen beteiligt sind, jede schematische Lösung verbietet und in erster Linie die Besonderheiten des einzelnen Falles zu beachten sind‹ (BGH NZI 21, 197 Rz 19; BGHZ 122, 46, 51; NJW 04, 1169; ohne Erwähnung des Leistungsbegriffs und statt dessen unter Rückgriff auf Wertungskriterien BGH NJW 05, 1369 [BGH 19.01.2005 - VIII ZR 173/03]). Es lässt sich deshalb sagen, dass der Bereicherungsausgleich abseits aller begrifflichen Auseinandersetzung jedenfalls den folgenden, grds Wertungen unterliegt (Canaris aaO, 802 f; MüKo/Schwab § 812 Rz 54 f, 68):

  • Jeder Partei bleiben ihre Einwendungen gegen die andere Partei des fehlerhaften Kausalverhältnisses erhalten.
  • Keine Partei ist Einwendungen ausgesetzt, die ihr Vertragspartner aus Rechtsbeziehungen zu Dritten ableitet (exceptio ex iure tertii).
  • Jede Partei trägt nur das Risiko der Zahlungsunfähigkeit desjenigen, den sie sich selbst als (Vertrags-)Partner ausgesucht hat.
 

Rn 24

Letztlich versagt der moderne Leistungsbegriff dort, wo er sich von dem ihm selbst innewohnenden Wertegefüge löst und dieses mit begriffsjuristischen Erwägungen überlagert. Sichtbarster Ausdruck dieser Fehlentwicklung ist die va vom BGH zur Unterstützung der Zweckgerichtetheitshypothese (freilich nicht einheitlich) vertretene Lehre von der Subsidiarität der Eingriffskondiktion (BGH NJW 05, 60 f [BGH 21.10.2004 - III ZR 38/04]; 99, 1393 f [BGH 04.02.1999 - III ZR 56/98]; iE Rn 80 f), die keine Stütze in § 812 findet und unnötig den Blick darauf verstellt, dass die nur scheinbare Konkurrenzproblematik stattdessen durch eine präzise Analyse der maßgeblichen Bereicherungsvorgänge nach normativen Wertungen unter Einbeziehung der Gutglaubensvorschriften (§§ 932 ff, 366 I HGB) und der Regelungen in §§ 816, 822 gelöst werden kann und muss (Staud/Lorenz § 812 Rz 63 ff; AnwK/v Sachsen Gessaphe § 812 Rz 184, 188 ff; iE hierzu Rn 77 f).

 

Rn 25

Abgesehen von alledem muss der Bereicherungsgläubiger die auszugleichende Vermögensbewegung in jedem Fall bewusst, also willentlich veranlasst haben. Gerade darin unterscheidet sich die Leistung von der Nichtleistung (s Rn 8, 12; zur Abgrenzung von der Aufwendungskondiktion Rn 66). Er entscheidet iRd Privatautonomie weitergehend darüber, was als Leistung gelten soll und wem er diese Leistung zuwenden will. Die darin liegende Tilgungsentscheidung (§ 366) fi...

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