Rn 53

Grundsätzlich kann die Rechtskraft von Urteilen, ggf auch von Schiedssprüchen (BayObLG BeckRS 22, 37205 – im konkreten Fall abgelehnt), nur ausnw gem §§ 578 ff ZPO durch Nichtigkeits- oder Restitutionsklage durchbrochen werden. Unter bestimmten Voraussetzungen gewährt die Rspr jedoch einen Anspruch aus § 826 auf Unterlassung der Zwangsvollstreckung aus einem rechtskräftigen Urteil und Herausgabe des Titels oder – nach Abschluss der Zwangsvollstreckung – auf Schadensersatz wegen Urteilsmissbrauchs (zB RGZ 36, 249, 251; 168, 1, 12; BGHZ 13, 71, 72 f; 50, 115, 117 ff; 112, 54, 57 ff; MDR 12, 368 – im konkreten Fall abgelehnt; BAG BeckRS 19, 34894 Rz 31 ff; LAG Rheinland-Pfalz BeckRS 21, 18268 – im konkreten Fall abgelehnt; bei einer zusätzlichen Analogie zu § 769 ZPO sollte jedoch Zurückhaltung geübt werden, s insb Brandbg BeckRS 19, 13862 mwN zum – kontroversen – Meinungsstand), ggf auch neben einer Restitutionsklage (BGHZ 50, 115, 120; Schlesw OLGR 06, 220, 222, auch zur abw Zuständigkeit). In der Lit wurde dies früher überwiegend als Umgehung der Rechtskraft kritisiert (s zB die Nachw bei MüKo/Wagner § 826 Rz 252; NK-BGB/Katzenmeier § 826 Rz 65), mittlerweile erfährt diese Rspr stärkere Zustimmung (zB MüKo/Wagner § 826 Rz 253; Soergel/Hönn § 826 Rz 219; NK-BGB/Katzenmeier § 826 Rz 65 mwN; krit Foerste FS Werner 426, 429 ff). Nach der Rspr hat die Rechtskraftdurchbrechung drei Voraussetzungen: materielle Unrichtigkeit des Urteils im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung aufgrund tatsächlicher Umstände (nicht durch angeblich unrichtige Rechtsanwendung, BGHZ 40, 130, 134, und nicht aufgrund nachlässiger Prozessführung durch den Betroffenen, BGH NJW-RR 88, 957, 959), besondere sittenwidrigkeitsbegründende Umstände, insb Urteilserschleichung (BGHZ 50, 115, 124; BB 69, 1459; Ausnutzung eines als unrichtig erkannten Urteils, für dessen Unrichtigkeit der Vollstreckungsgläubiger nicht verantwortlich ist, hingegen nur, wenn sie in hohem Maße unbillig und geradezu unerträglich ist, RGZ 155, 55, 60 f; 156, 265, 268 f; BGHZ 26, 391, 396 ff; 112, 54, 58 f; solche besonderen sittenwidrigkeitsbegründenden Umstände dürften auch dann fehlen, wenn dem Antragsteller die relevanten Tatsachen bereits im Prozess bekannt waren, s mit teilw abw Begründung Kobl BeckRS 19, 4466) sowie Kenntnis des Gläubigers von der Unrichtigkeit des Urteils (wobei Verschaffung dieser Kenntnis iRd Prozesses über den Anspruch aus § 826 genügen soll, BGHZ 101, 380, 385; 103, 44, 47; krit zu Recht MüKo/Wagner § 826 Rz 256; einschr Staud/Oechsler § 826 Rz 494).

 

Rn 54

Bei Vollstreckungsbescheiden kommt eine Durchbrechung der Rechtskraft nach ähnlichen Grundsätzen in Betracht (s insb BGHZ 101, 380, 383 f; 103, 44, 50 f; NJW 05, 2991, 2993 ff mwN – dort iE allerdings abgelehnt; LAG Schleswig-Holstein NZA-RR 07, 216, 217 f), insb bei Vollstreckungsbescheiden über Ansprüche aus sittenwidrigen Verträgen (etwa Ratenkredit- oder Bürgschaftsverträgen) oder unverbindlichen Partnerschaftsverträgen (LG Frankfurt aM NJW-RR 95, 634, 635). Entscheidend ist, ob der Titelgläubiger erkennen konnte, dass er materiellrechtlich nicht berechtigt war und im streitigen Verfahren scheitern würde und deshalb den Weg über das Mahnverfahren gewählt hat und ob dadurch ein geschäftsunerfahrener Verbraucher übervorteilt wurde (s insb BGHZ 101, 380, 386 ff; 103, 44, 46 ff; NJW 05, 2991, 2994 mwN; LAG Schleswig-Holstein NZA-RR 07, 216, 217 f).

 

Rn 55

Auch bei anderen Titeln kann eine vergleichbare Rechtskraftdurchbrechung nach § 826 in Betracht kommen, zB bei Vergleich (BGH MDR 69, 739 f; LM [Fa] § 826 Nr 3), Schiedsspruch (BGHZ 34, 274, 280 f; 145, 376, 381 ff; Köln GWR 15, 385; Frankf BeckRS 20, 28050 – im konkreten Fall abgelehnt), einstweiliger Verfügung (BGH WM 69, 474, 475), Zuschlagsbeschluss in der Zwangsversteigerung (RGZ 69, 277, 280; BGHZ 53, 47, 50 f; NJW 71, 1751, 1752) oder Kostenfestsetzungsbeschluss (Nürnbg NJW 73, 370), nicht aber beim Prozessvergleich (dazu insb MüKo/Wagner § 826 Rz 261; NK-BGB/Katzenmeier § 826 Rz 69; diff Staud/Oechsler § 826 Rz 543 mwN; offengelassen: Bremen NJW-RR 01, 1036, 1037 f [OLG Bremen 21.07.1999 - 1 U 130/98]).

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