Rn 8

Ausgangspunkt für die Bestimmung des Umfangs der Aufsichtspflicht ist ihr Charakter als Verkehrspflicht. Für jeden Einzelfall ist abzuwägen zwischen Reifegrad des Aufsichtsbedürftigen, Schädigungspotential des Verhaltens und Zumutbarkeit von Aufsichtsmaßnahmen (s insb Staud/Bernau § 832 Rz 102 ff; MüKo/Wagner § 832 Rz 26; BeckOK/Spindler § 832 Rz 15; Erman/Wilhelmi § 832 Rz 6; Haberstroh VersR 00, 806, 810 f; ähnl C Schreiber JR 14, 99, 102 f). Dabei sind va der Entfaltungsspielraum des Aufsichtsbedürftigen als Ausprägung seines Persönlichkeitsrechts (insb Erman/Wilhelmi § 832 Rz 6) sowie der Gedanke einer Erziehung zu eigenverantwortlichem Handeln, § 1626 II (vgl BGH NJW 80, 1044, 1045 [BGH 27.11.1979 - VI ZR 98/78]; 84, 2574 [BGH 10.07.1984 - VI ZR 273/82]; NK-BGB/Katzenmeier § 832 Rz 12; ähnl Ntzemou/Schultess FS C Huber 399, 402 ff: elterlicher Erziehungsauftrag), zu berücksichtigen. Für die Aufsicht über minderjährige Kinder können auch die zu § 1631 I entwickelten Grundsätze herangezogen werden; die Haftungsprivilegierung nach §§ 1664 I, 277 kommt allerdings nur Eltern zugute (Köln NZV 16, 276 [OLG Köln 13.08.2015 - 8 U 67/14]; Kobl BeckRS 15, 6558).

 

Rn 9

Aus der reichhaltigen Kasuistik (zur neueren Rspr Bernau FamRZ 17, 166 ff; 20, 301 ff; 23, 415 ff) lassen sich folgende Grundlinien ableiten: Bei Minderjährigen sind insb Alter (zB BGH VersR 09, 788 einerseits, 790 andererseits; Vorschlag einer typologischen Abstufung bei Rebler MDR 10, 1433, 1435 f, vom Ansatz her auch BeckOGK/Wellenhofer § 832 Rz 114 ff; relativierend Ntzemou/Schultess FS C Huber 399, 406 ff; Schultess VersR 21, 1011, 1016 ff), Charakter, Eigenarten, Erziehungsstand (je besser die Erziehung, desto geringer die Anforderungen an die Aufsichtspflicht, zB RGZ 98, 246, 248; BGH NJW 84, 2574, 2575; 93, 1003; 97, 2047, 2048) einschließlich konkreter Belehrungen (BGH VersR 09, 788 Rz 17; 790 Rz 14, jew mwN), äußere Umstände, Vorhersehbarkeit einer Schädigung, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit von Aufsichtsmaßnahmen zu berücksichtigen. Die Aufsichtsbedürftigkeit steht in Korrelation zu § 828 insofern, als bei Vorliegen von Einsichtsfähigkeit iSd § 828 III idR keine oder allenfalls eine geringe Aufsichtsbedürftigkeit besteht (noch weitergehend wohl Erman/Wilhelmi § 832 Rz 6). Zur Vermeidung von Haftungslücken ist daher § 828 III bei Eingrenzungen der Aufsichtspflicht iRd § 832 stets im Blick zu behalten; dies bedeutet aber nicht, dass über § 832 alle durch § 828 entstehenden Haftungslücken zu schließen wären (vgl auch Oldbg VersR 05, 807; Kobl BeckRS 09, 140149; LG Wuppertal NJW-RR 18, 84, 86; H Müller ZfS 03, 433, 434; Friedrich NZV 04, 227, 230; Oechsler NJW 09, 3185, 3188; Bernau NZV 05, 234 ff [AG Ratzeburg 12.11.2004 - 6 OWi 364/04] mwN, auch zu Gegenansichten). Auch die Anwendung beider Vorschriften nebeneinander (Haftung von Aufsichtsbedürftigem und Aufsichtspflichtigem als Gesamtschuldner iSd § 840) ist möglich. Als Aufsichtsmaßnahmen kommen insb in Betracht: Belehrung und Warnung (BGHZ 111, 282, 285; VersR 09, 788 Rz 17; 790 Rz 14; NJW 12, 2425 Rz 17), Verbot, Übung, Kontrolle/Beobachtung (in Sonderfällen evtl sogar ›auf Schritt und Tritt‹, BGH NJW 95, 3385, 3386; Saarbr OLGR 07, 572, 574 f), Verwehren schädigender Handlungen (BGH NJW 95, 3385, 3386; 97, 2047, 2048 – ausnw bis hin zum Einsperren, Kobl NJW-RR 02, 900 f; LG Kreuznach VersR 03, 908), Einschränkung des Zugangs zu gefährlichen Gegenständen, im Extremfall auch Inanspruchnahme von Erziehungshilfe (s insb M Schmid VersR 82, 822, 823 f). Welche Maßnahmen erforderlich und zumutbar sind, richtet sich danach, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen in der konkreten Situation tun müssen, um Schädigungen Dritter durch ihr Kind zu verhindern (stRspr, zB BGH VersR 62, 783; VersR 09, 788 Rz 8; 790 Rz 8; NJW 12, 2425 Rz 16, jew mwN). Hierbei sind die persönlichen Eigenschaften des Kindes ein wesentlicher Faktor (zB Neigung zu Aggressivität, s nur BGH NJW 80, 1044, 1045 [BGH 27.11.1979 - VI ZR 98/78]; 97, 2047, 2048 [BGH 18.03.1997 - VI ZR 91/96]).

 

Rn 10

Bei gefährlichem Spielzeug kann bereits die Überlassung gegen die Aufsichtspflicht verstoßen, zB bei Pfeil und Bogen, Luftgewehr, Axt, Buschmesser (zB BGH VersR 66, 368 f; München ZfS 02, 170, 171; NJW-RR 20, 88 [OLG München 29.07.2019 - 21 U 2981/18] – offenbar zu § 823). Andernfalls besteht jedenfalls eine gesteigerte Aufsichtspflicht. Denkbare Aufsichtsmaßnahmen sind insb Belehrung (selbst bei Gegenständen, zu denen kein Zugang besteht, BGH VersR 66, 368 f; Celle FamRZ 98, 233; Ddorf NJW-RR 98, 98, 99; krit zu Recht Haberstroh VersR 00, 806, 813; Wolf VersR 98, 812 f), Verwahrung, Überwachung. Hierbei kann zwischen per se gefährlichem Spielzeug und solchem, das erst bei Missbrauch gefährlich wird, zu differenzieren sein.

 

Rn 11

Beim Umgang mit Feuer (insb Zündmitteln, Feuerwerkskörpern) sind besonders hohe Anforderungen an den Aufsichtspflichtigen zu stellen (zB BGHZ 111, 282, 285; NJW 97, 2047; 12, 2425 Rz 17 mwN; G...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge