Gesetzestext

 

Übt jemand die tatsächliche Gewalt über eine Sache für einen anderen in dessen Haushalt oder Erwerbsgeschäft oder in einem ähnlichen Verhältnis aus, vermöge dessen er den sich auf die Sache beziehenden Weisungen des anderen Folge zu leisten hat, so ist nur der andere Besitzer.

A. Normzweck.

 

Rn 1

Die Regelung enthält eine klare Abweichung von § 854 und dem Grundgedanken des Besitzes als Ausübung der tatsächlichen Sachherrschaft. Vielmehr werden hier die Rechtsfolgen des Besitzes bei einer bestehenden sozialen Abhängigkeit einer Person auf den Besitzherren verlagert. Da der Besitzerwerb und die Ausübung des Besitzes durch Realakt erfolgen und somit eine Stellvertretung ausgeschlossen ist (s § 854 Rn 7), hat die Regelung über den Besitzdiener iRd Ausübung von Besitzrechten durch Hilfskräfte zentrale Bedeutung.

B. Voraussetzungen.

I. Soziale Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit.

 

Rn 2

Der Besitzdiener muss in einem sozialen Abhängigkeits- und Unterordnungsverhältnis zum Besitzherren stehen, so dass er bei der Ausübung der tatsächlichen Gewalt an die Weisungen des Besitzherren gebunden ist (BGH NJW 14, 1524). Eine lediglich wirtschaftliche oder tatsächliche Abhängigkeit genügt nicht (BGHZ 27, 360, 363). Nicht entscheidend hierfür ist die Verkehrsanschauung. Besitzdiener sind daher Personen, die in einem privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis abhängige Arbeit leisten, zB Hausangestellte oder auch nur vorübergehend tätige Putzfrauen im Haushalt, Angestellte, leitende Angestellte (BGH NJW 15, 1678 [BGH 30.01.2015 - V ZR 63/13] Rz 19), Arbeiter, Auszubildende in privaten Betrieben, Beamte, Angestellte und Arbeiter des öffentlichen Dienstes beim Staat oder in öffentlich-rechtlichen Körperschaften. Selbst ein nichtiges Dienst- oder Arbeitsverhältnis führt zur Besitzdienerschaft, soweit die soziale Unterordnung faktisch gegeben ist. Im berühmten Platzanweiserinnen-Fall des BGH hat daher die Platzanweiserin bei der Entdeckung des wertvollen Ringes den Besitz nicht für sich, sondern für ihren Arbeitgeber erworben, da sie sich entspr ihrer vertraglich bestehenden Pflicht verhielt, den Raum nach verlorenen Gegenständen zu durchsuchen und diese abzugeben (BGHZ 8, 130). Dagegen wurde im Lübecker Schatzfund-Fall zu Recht der Arbeitgeber nicht als Besitzer angesehen, nachdem sein Arbeitnehmer iRv Abbrucharbeiten den Münzschatz entdeckt hatte. Denn der Arbeiter war nicht mit einer Schatzsuche beauftragt gewesen, sondern hatte den Schatz nur zufällig bei Gelegenheit seiner vertraglichen Tätigkeit gefunden (BGHZ 103, 101). Zu nichtehelichen Partnern und Kindern als Besitzdiener in gemeinsamer Wohnung s.o. § 854 Rn 17. Ausreichend ist auch eine nur kurzfristige Weisungsabhängigkeit. So ist der Kaufinteressent eines Autos bei der Probefahrt Besitzdiener, solange sich der Eigentümer nicht seiner Einflussmöglichkeiten begibt (BGH NJW 20, 3711 = JZ 21, 41 m Anm Stadler; dazu Deppenkemper JM 21, 134; BGH NJW 14, 1524 [BGH 13.12.2013 - V ZR 58/13]). Bei einer unbegleiteten und nicht überwachten Probefahrt liegt dagegen ein freiwilliger Besitzverlust vor (BGH NJW 20, 3711 [BGH 18.09.2020 - V ZR 8/19]). Ebenso ist beim Werkvertrag der Besteller, der nach erfolgter Reparatur eine Probefahrt unternimmt, nicht Besitzdiener (BGH JZ 18, 1102 [BGH 17.03.2017 - V ZR 70/16] Rz 12). Der unmittelbare Besitz des Werkunternehmers bleibt bestehen (s.o. § 854 Rz 9). Im Falle von Räumlichkeiten des Arbeitgebers ist dieser sowohl an den Räumen wie am gesamten Inhalt Besitzer, selbst wenn ein leitender Angestellter über den Schlüssel verfügt (BGH NJW 15, 1678 Rz 20). Davon ausgenommen ist nur ein offenkundig persönlicher Besitz des Arbeitnehmers. Dies kann sich entweder aus der räumlichen Beziehung (zu privatem Zweck vorhandener Schrank oder Spind) oder aus der Natur der Sache (private Kleidung) ergeben (BGH NJW 15, 1678 [BGH 30.01.2015 - V ZR 63/13] Rz 24).

II. Erkennbarkeit.

 

Rn 3

Die Weisungsabhängigkeit des Besitzdieners muss nach außen erkennbar sein (BGHZ 27, 360; aA Baur/Stürner Sachenrecht § 7 Rz 67; MüKo/Schäfer § 855 Rz 10). Die mögliche weite räumliche Entfernung des Besitzdieners zum Besitzherrn steht dazu nicht im Widerspruch (aA MüKo/Schäfer § 855 Rz 11).

III. Besitzdienerwille.

 

Rn 4

Der Streit um den Besitzdienerwillen, der jedenfalls als Unterordnungswille vorhanden sein muss, ist nur terminologischer Natur. Denn es ist anerkannt, dass es für den Besitzdiener ausreicht, wenn er im konkreten Fall iRd Weisungen handelt. Daraus lässt sich zugleich ein allg Besitzdienerwille entnehmen. Ein im Einzelfall vorhandener abweichender Wille des Besitzdieners bleibt rechtlich ohne Relevanz, so lange die tatsächliche Einfügung in die weisungsgebundene Situation besteht. Bedeutungslos ist weiterhin eine innere Willensänderung des Besitzdieners (BGH NJW 79, 714 [BGH 10.01.1979 - VIII ZR 302/77]; Stadler JZ 21, 47 Fn 26).

C. Wirkungen und Rechtsfolgen.

I. Besitzverhältnis.

 

Rn 5

Das Gesetz erklärt im Falle der Besitzdienerschaft nur den Besitzherren zum unmittelbaren Besitzer, während der Besitzdiener in rechtlicher Hinsicht keinerlei Besitz hat. Ihm stehen daher auch nicht die Rechte aus dem Besitz zu (Ausn § 860...

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