Rn 14

Außerhalb der nachbarrechtlichen Vorschriften kann es im Einzelfall aufgrund des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses privatrechtliche Eigentumsbeschränkungen geben. Dieses von der Rspr entwickelte Rechtsinstitut verpflichtet die Nachbarn (Grundstückseigentümer, -besitzer, -nutzungsberechtigter), nicht aber den für sie tätig werdenden Bauunternehmer (BGH NJW 10, 3158, 3159 [BGH 16.07.2010 - V ZR 217/09]), nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242) zur gegenseitigen Rücksichtnahme und beschränkt sie in der Ausübung ihrer Rechte. Eine solche Pflicht zur Rücksichtnahme ist mit Rücksicht auf die nachbarrechtlichen Sonderregelungen (§§ 905 ff und Nachbarrechtsgesetze der Länder) eine Ausnahme und kann nur dann zur Anwendung kommen, wenn ein über die gesetzliche Regelung hinausgehender billiger Ausgleich der widerstreitenden Interessen dringend geboten erscheint. Nur unter dieser Voraussetzung kann die Ausübung gewisser aus dem Eigentum fließender Rechte ganz oder teilweise unzulässig werden; das Rechtsinstitut darf jedoch nicht dazu dienen, die nachbarrechtlichen Regelungen in ihr Gegenteil zu verkehren (BGH ZMR 17, 943, 944). Ebenfalls nur unter der genannten Voraussetzung kann dem Nachbarn eine selbstständige Verpflichtung auferlegt werden (BGH MDR 13, 1217 [BGH 08.02.2013 - V ZR 56/12]).

 

Rn 15

Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis darf nicht als vermeintliches Allheilmittel für die Lösung jedes nachbarlichen Interessenkonflikts verstanden werden. So besteht die Pflicht zur ausnahmsweisen Duldung eines beeinträchtigenden Verhaltens des Störers nur hinsichtlich solcher Maßnahmen, die zwar im Verhältnis zu dem gestörten Nachbarn rechtswidrig, ansonsten aber rechtmäßig sind. ZB kann der Grundstückseigentümer die Beseitigung einer von seinem Nachbarn teilweise über die Grundstücksgrenze gebauten Stützmauer verlangen, wenn sie nicht nach den Regeln der Baukunst errichtet wurde, auch wenn an sich die Voraussetzungen einer Duldungspflicht aufgrund des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses vorliegen (BGH MDR 73, 39). Auch kann die Beseitigung eines in dem Grundstück verlaufenden fremden Abwasserrohrs verlangt werden, wenn die Verlegung nach öffentlichem Recht rechtswidrig war, obwohl der Grundstückseigentümer unter dem Gesichtspunkt des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses zur Duldung des Rohrs verpflichtet wäre (vgl BGH NJW 03, 1392, 1393 [BGH 31.01.2003 - V ZR 143/02]). Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis darf nicht dazu führen, die bestehende gesetzliche Regelung außer Acht zu lassen; sie muss immer die Grundlage der Entscheidung bleiben (RGZ 167, 14, 23). Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis begründet idR keine Ansprüche, sondern der auf Treu und Glauben fußende Gedanke wirkt sich hauptsächlich als bloße Schranke der Rechtsausübung aus; darüber hinaus kann das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme der Nachbarn untereinander nicht ohne weiteres die fehlenden Tatbestandsvoraussetzungen des § 1004 und damit die Anspruchsgrundlage ersetzen (s nur BGH NJW 95, 2633 f). Auch begründet das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis neben den besonderen Nachbarrechtsvorschriften keine selbstständige Grundlage für Rechte und Pflichten; vielmehr bestehen unter Grundstücksnachbarn nur die allg Ansprüche aus dem Eigentum sowie die allg Verkehrssicherungspflichten (BGHZ 42, 374, 378). Allerdings liegt in der Rspr des BGH eine Aufweichung des Gedankens des Reichsgerichts, indem dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis die rechtliche Qualität einer Anspruchsgrundlage lediglich für den Regelfall abgesprochen wird. Das lässt Ausnahmen zu. So hält es der BGH ausnahmsweise für zulässig, einen Anspruch unmittelbar aus dem besonderen Verhältnis von Nachbarn zu begründen, wenn dies aus zwingenden Gründen eines billigen Interessenausgleichs geboten ist (NJW-RR 13, 650, 651 [BGH 08.02.2013 - V ZR 56/12]). Diese Formulierung ist bedenklich, denn sie lädt dazu ein, über das Gewollte hinaus den Blick auf die gesetzgeberischen Wertungen des Nachbarrechts zu verstellen. Diese müssen jedoch die Grenzen für die Rechtsfolgen der Heranziehung des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses bleiben (BGH MDR 51, 726 [BGH 15.06.1951 - V ZR 55/50]).

 

Rn 16

Die Anwendung des Rechtsinstituts setzt in sachlicher Hinsicht nicht voraus, dass die benachbarten Grundstücke eine gemeinsame Grenze haben (s nur BGH NJW 03, 1392). Eine Einschränkung des Anwendungsbereichs ist jedoch dahingehend geboten, dass die Grundsätze des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses ausschl auf die Lösung von Konflikten anzuwenden sind, die sich aus der Nutzung verschiedener Grundstücke ergeben. Für einen Interessenausgleich zwischen Nutzern ein und desselben Grundstücks, wie zB zwischen Mietern in einem Mehrfamilienhaus, kann das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis nicht herangezogen werden (vgl BGHZ 157, 188, 190 ff). In diesen Fällen fehlt es an dem für die Anwendung der nachbarrechtlichen Vorschriften notwendigen Erfordernis, dass die Beeinträchtigun...

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