Gesetzestext

 

(1) 1Eine Verletzung des Benachteiligungsverbots ist nicht gegeben, wenn für eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion, einer Behinderung, des Alters, der sexuellen Identität oder des Geschlechts ein sachlicher Grund vorliegt. 2Das kann insbesondere der Fall sein, wenn die unterschiedliche Behandlung

1. der Vermeidung von Gefahren, der Verhütung von Schäden oder anderen Zwecken vergleichbarer Art dient,
2. dem Bedürfnis nach Schutz der Intimsphäre oder der persönlichen Sicherheit Rechnung trägt,
3. besondere Vorteile gewährt und ein Interesse an der Durchsetzung der Gleichbehandlung fehlt,
4. an die Religion eines Menschen anknüpft und im Hinblick auf die Ausübung der Religionsfreiheit oder auf das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften, der ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform sowie der Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion zur Aufgabe machen, unter Beachtung des jeweiligen Selbstverständnisses gerechtfertigt ist.

(2) 1Kosten im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Mutterschaft dürfen auf keinen Fall zu unterschiedlichen Prämien oder Leistungen führen. 2Eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität ist im Falle des § 19 Abs. 1 Nr. 2 nur zulässig, wenn diese auf anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation beruht, insbesondere auf einer versicherungsmathematisch ermittelten Risikobewertung unter Heranziehung statistischer Erhebungen.

A. Einordnung und Zweck.

 

Rn 1

Gem § 20 können Benachteiligungen nach § 19 I gerechtfertigt sein. Die Rechtfertigung gilt nur für unterschiedliche Behandlungen wegen Religion, Behinderung, Alter, sexueller Identität oder Geschlecht, nicht wegen Rasse oder ethnischer Herkunft. Ziel ist es, Differenzierungen zu ermöglichen, die im allg Zivilrecht notwendig und erwünscht sind (BTDrs 16/1780, 43).

 

Rn 2

I setzt Art 4 V RL 2004/113/EG (Erwägungsgründe Nr 16, 17) um, II Art 5 I, III RL 2004/113/EG (Erwägungsgründe Nr 18, 20). Die RL 2000/43/EG sieht dagegen keine Rechtfertigungsmöglichkeiten bei Benachteiligung wegen Rasse oder ethnischer Herkunft vor, Nr 3 greift nicht (Rn 7).

 

Rn 3

I 1 enthält Generalklausel für Rechtfertigung, 2 vier Regelbeispiele, nicht abschließend (›insb‹). Bei mittelbarer Benachteiligung schließt sachlicher Grund schon den Tatbestand aus (§ 3 II; vgl § 3 Rn 11 ff).

B. Generalklausel, Abs 1 S 1.

 

Rn 4

Sachlicher Grund iSv I 1 ist iRe wertenden Feststellung im Einzelfall nach Treu und Glauben zu beurteilen. Regelbeispiele des 2 sind Richtschnur. IRd wertenden Feststellung sind sowohl die sich aus dem Charakter des Schuldverhältnisses ergebenden Umstände als auch diejenigen, die aus der Sphäre der am Geschäft Beteiligten stammen, zu berücksichtigen (BGH MDR 20, 1059 [BGH 27.05.2020 - VIII ZR 401/18]). Sachlicher Grund kann aus Sphäre des Unterscheidenden oder des Betroffenen stammen (BTDrs 16/1780, 43). Das Ziel der Ungleichbehandlung muss objektiv gerechtfertigt sein und die Ungleichbehandlung verhältnismäßig (vgl § 8 Rn 6 f; Worzalla 210). Bsp: Ablehnung einer Teilzahlung bei älterer Person aufgrund Risikos des Ablebens (AG München, 13.4.16 – 171 C 28560/15, juris).

C. Regelbeispiele, Abs 1 S 2.

 

Rn 5

Nr 1–4 sind nicht abschließend, weitere Rechtfertigungen müssen aber von entsprechendem Gewicht sein (BGH MDR 20, 1059 [BGH 27.05.2020 - VIII ZR 401/18] zu Ausschluss von Jugendlichen unter 16 Jahren vom Besuch in Wellnesshotel).

Nr 1 will auch bei Massengeschäften die Beachtung von Verkehrssicherungspflichten durchsetzen. Der Anbieter hat Beurteilungsspielraum, ob die Ungleichbehandlung zur Zweckerreichung geeignet und erforderlich ist. Bsp: Freizeitparks, Zugang zu Fahrgeschäften oder Frauenhäuser (BTDrs 16/1780, 43).

 

Rn 6

Nr 2 zielt insb auf das Bedürfnis ab, nach dem Geschlecht zu unterscheiden, zB Frauenparkplätze (LAG RhlPf v 29.9.11, 10 Sa 314/11), getrennte Öffnungszeiten in Schwimmbädern (vgl BTDrs 16/1780, 44). Nachvollziehbare Gründe sind erforderlich, dh objektive Beurteilung iSe allg Gefahrenverständnisses; abstrakte Angst zB vor ›dem Islam‹ genügt nicht (BTDrs 16/1780, 44; BKG § 20 Rz 8).

 

Rn 7

Nr 3 kann besondere Vorteile rechtfertigen, zB Preisnachlässe oder Sonderkonditionen für typischerweise weniger leistungsfähige Gruppen (Schüler, Studenten, BTDrs 16/1780, 44; Senioren, AG Mannheim NJW 08, 3443 [AG Mannheim 06.06.2008 - 10 C 34/08]). Im Unterschied zu § 5 bedarf es bei Nr 3 keiner bestehenden Nachteile für die geförderte Personengruppe (BKG § 20 Rz 9; vgl § 5 Rn 3). Zulässig ist daher Seniorenteller, Ladies Night oder Ü-30 Party (Grüneberg/Grüneberg § 20 Rz 5; Rath/Rütz NJW 07, 1499). Die mit der Bevorzugung einer Gruppe einhergehende Benachteiligung einer anderen ist hinzunehmen, weil Leistender ansonsten Vorteilsgewährung nicht ausdehnen, sondern einstellen würde (BTDrs 16/1780, 44; krit Heese NJW 12, 572, 574). Nr 3 greift nicht, wenn Vorteilsgewährung nur diskriminierende Verhaltensweise tarnt, zB das regulär geforderte Entgelt für eine Leistung weit über dem üblichen Marktpreis liegt (B...

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