Gesetzestext

 

Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

A. Einordnung und Zweck.

 

Rn 1

§ 22 gilt für mittelbare und unmittelbare Benachteiligungen (BAG NZA 17, 715; DB 11, 177) und setzt Art 8 RL 2000/43/EG, Art 10 RL 2000/78/EG und RL 2004/113/EG um. Zweck ist die Erleichterung der Beweisführung derjenigen Person, die sich durch einen Verstoß gegen das AGG für verletzt hält (BTDrs 16/1780, 47). § 22 gilt nicht analog bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gem § 823 BGB (BAG NZA 12, 910 [BAG 15.03.2012 - 8 AZR 37/11]) und bei Klagen nach EntGTranspG (BAG NZA 21, 2011).

B. Beweislast des Anspruchstellers.

 

Rn 2

Unabhängig von § 22 trägt derjenige, der sich auf Benachteiligung beruft, die Beweislast für diese Benachteiligung, ein Anscheinsbeweis kann ihm jedoch zugutekommen (BGH NZA 12, 797 [BGH 23.04.2012 - II ZR 163/10]; BAG NJW 11, 2458, 2460 [BAG 28.04.2011 - 8 AZR 515/10]; BTDrs 16/1780, 47). Von Bedeutung ist, in wessen Einflussbereich sich die Vorgänge ereignet haben (BTDrs 16/1780, 47; LAG Hessen ArbuR 10, 272).

 

Rn 3

Auch nach § 22 muss der Anspruchsteller den Vollbeweis für folgende Tatsachen führen: (1.) Vorliegen eines Merkmals nach § 1, in der Person des Anspruchstellers oder bei einem nahen Angehörigen (EuGH NZA 08, 932 – Coleman); (2.) weniger günstige Behandlung, Belästigung oder sexuelle Belästigung; (3.) Indizien (Vermutungstatsachen), auch iR eines Motivbündels (BAG NZA-RR 17, 342 [BAG 26.01.2017 - 8 AZR 73/16]), die nach allg Lebenserfahrung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür begründen, dass die weniger günstige Behandlung, Belästigung oder sexuelle Belästigung wegen eines Merkmals nach § 1 erfolgte (vgl BAG NZA 20, 851; 19, 1492). Für die Ursächlichkeit eines Merkmals nach § 1 muss er nur Hilfstatsachen darlegen und ggf beweisen, an deren Vermutungswirkung keine zu strengen Anforderungen zu stellen sind (BAG NZA 11, 737 [BAG 27.01.2011 - 8 AZR 580/09]). Nicht herabgesetzt ist das Beweismaß daher für die Benachteiligung und die Indizien für den Benachteiligungsgrund nach § 1. Hier gilt der Strengbeweis (BAG NZA 15, 1380; 11, 93 [BAG 22.07.2010 - 8 AZR 1012/08]; 10, 383; BGH 12, 797). Zum ordnungsgemäßen prozessualen Vortrag gehört daher auch der Beweisantritt (BAG NZA 15, 1380; 11, 153). Durch die Vermutungswirkung wird jedoch das Beweismaß für die Ursächlichkeit des Diskriminierungsmerkmals für die Benachteiligung gesenkt (vgl BAG NZA 20, 851; 19, 1492; 16, 1394 [BAG 19.05.2016 - 8 AZR 470/14]; 11, 153 [BAG 17.08.2010 - 9 AZR 839/08]; 10, 383 [BAG 17.12.2009 - 8 AZR 670/08]; 08, 1351 [BAG 24.04.2008 - 8 AZR 257/07]). Gesamtbetrachtung des Sachverhalts ist erforderlich (BAG NZA 20, 851 [BAG 23.01.2020 - 8 AZR 484/18]; 19, 1492 [BAG 20.03.2019 - 7 AZR 237/17]; 15, 1380 [BAG 23.07.2015 - 6 AZR 457/14]). Ein Auskunftsanspruch besteht nicht, eine verweigerte Auskunft stellt für sich betrachtet noch kein Indiz für eine Benachteiligung dar (EuGH NZA 12, 493 – Meister; NZA 13, 360); (4.) iRv § 15 muss der Anspruchsteller auch die Pflichtverletzung des Anspruchsgegners (zB fehlende Schulung) beweisen (§ 15 Rn 3, 6); (5.) ggf die Entstehung und Höhe des Schadens und haftungsausfüllende Kausalität (BAG BB 17, 506 [BAG 11.08.2016 - 8 AZR 406/14]), § 287 ZPO findet Anwendung.

C. Beweislast des Anspruchsgegners.

 

Rn 4

Hat der Anspruchsteller den Beweis (Rn 3) erbracht, muss der Anspruchsgegner beweisen, dass kein Verstoß gegen AGG vorliegt, entweder, (1) weil trotz Indiztatsachen ausschließlich andere als in § 1 genannten Gründe zu der ungünstigeren Behandlung geführt haben (BAG NZA 20, 851 [BAG 23.01.2020 - 8 AZR 484/18]; 19, 1492 [BAG 20.03.2019 - 7 AZR 237/17]; zB der ArbG/Anbieter nicht wusste, dass ein Merkmal nach § 1 vorlag [BAG NZA 14, 303 [BAG 17.10.2013 - 8 AZR 742/12], anders speziell zu § 164 I SGB IX, BAG AP 9 zu § 15 AGG]; zur Kausalität s § 7 Rn 4), (2) die Benachteiligung nach §§ 5, 8–10, 20 gerechtfertigt war (§ 8 Rn 8 ff, § 10 Rn 8 ff) oder (3) das Vorgehen des Benachteiligten rechtsmissbräuchlich war (BAG NZA 17, 310 [BAG 11.08.2016 - 8 AZR 4/15], s § 2 Rn 4, § 3 Rn 8). Beweismaß: Vollbeweis (BAG NZA 20, 851 [BAG 23.01.2020 - 8 AZR 484/18]). Der Anspruchsgegner wird daher idR Auswahlkriterien (s Rn 6 aE) und Gründe für die Entscheidung offenlegen müssen. Gegen Schadensersatzansprüche gem § 15 I kann er auch fehlendes Verschulden einwenden und beweisen (§ 15 Rn 4).

D. Vermutungstatsachen.

 

Rn 5

Vermutungstatsachen können insb sein (vgl auch § 2 Rn 6 ff): nicht § 7 I entsprechende Ausschreibung (§ 11 Rn 3) oder Stellenanzeige (BAG NZA 17, 715, 310 [BAG 15.12.2016 - 8 AZR 454/15]; 16, 1394 [BAG 19.05.2016 - 8 AZR 470/14]), falsche, wechselnde oder in sich widersprüchliche Begründungen (BAG NZA 12, 1345), Fragen im Bewerbungsgespräch bzw Bewerbungsfragebogen nach Merkmal des § 1, Begründungen in Kündigungsschreiben (BAG NZA 15, 1380 [BAG 23.07.2015 - 6 AZR 457/14]), evtl Ergebnisse von Test...

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