Rn 11

Während eine unmittelbare Benachteiligung nur nach Maßgabe von §§ 5, 8–10, 20 gerechtfertigt sein kann, fehlt es schon am Tatbestand der mittelbaren Benachteiligung, wenn die Ungleichbehandlung durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind, II letzter Hs (BAG DB 10, 1071, Anm Lingemann ArbR 10, 90). Kennzeichen mittelbarer Benachteiligung ist daher die unterschiedliche Behandlung nach einem Kriterium, das nicht unter § 1 fällt, aber von Personen mit einem Merkmal nach § 1 deutlich häufiger erfüllt wird als von Personen ohne dieses Merkmal (EuGH NZA 94, 797; BAG NZA 16, 1345; DB 95, 226). Eine schlechtere Behandlung von Teilzeitbeschäftigten benachteiligt mittelbar Frauen (EuGH NZA 12, 1425 – Moreno; DB 08, 187 – Voß; Vorlagebeschluss BAG NZA 22, 702, Anm Arnold ArbR 21, 604).

 

Rn 12

Dem Anschein nach neutral sind Kriterien, die nicht unmittelbar ein Merkmal nach § 1 wiedergeben.

 

Rn 13

Benachteiligen ›können‹ die neutralen Regelungen wegen eines in § 1 genannten Grundes, wenn sie überwiegend Personen mit einem Merkmal nach § 1 betreffen. Der prozentuale Anteil der von diesem Merkmal Betroffenen an der Gesamtzahl der dem persönlichen Geltungsbereich der Regelung unterfallenden Personen (vgl EuGH DB 08, 187 – Voß; BAG ZTR 03, 502) muss wesentlich höher sein als der der nicht durch das Merkmal nach § 1 gekennzeichneten Vergleichsgruppe. 90 % reichen aus, 75 % wohl auch (Wißmann FS Wlotzke, 807, 815). Auf diesen zur Geschlechterdiskriminierung entwickelten statistischen Nachweis (insb EuGH EuZW 94, 91 – Kirsammer-Hack; BAG ZTR 03, 502 [BAG 18.02.2003 - 9 AZR 272/01]) wird man auch iRv II iVm § 1 schon wegen der weitreichenden Folgen des § 15 AGG nicht verzichten können, jedoch ist er nicht zwingend (BAG AP Nr 1 zu § 17 TVöD). Es reicht vielmehr, wenn ein Kriterium typischerweise zur Benachteiligung geeignet ist (vgl BAG NZA 10, 947 [BAG 22.04.2010 - 6 AZR 966/08]). Eine besondere Intensität der Beeinträchtigung begründet alleine ohne statistische Signifikanz keine mittelbare Benachteiligung (aA BKG § 3 Rz 27; Schiek NZA 04, 873, 875). Der Eintritt des Nachteils muss mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein, bloß abstrakte Gefährdung reicht nicht aus (BKG § 3 Rz 26 mwN).

 

Rn 14

Nach dem Wortlaut (›Vorschriften, Kriterien, Verfahren‹) gilt II nur für abstrakt generelle Regelungen und nicht für konkrete Einzelentscheidungen, so dass die benachteiligungsgeeignete Regelung für sich allein den Tatbestand möglicherweise schon erfüllt. Zum Schaden gem § 15 I AGG kann jedoch erst die Umsetzung führen. Insoweit erfasst § 3 II auch Einzelmaßnahmen, die auf ein allgemeines Kriterium zurückgehen (BAG DB 11, 2438). Unerheblich ist, ob die Regelung vereinbart oder einseitig vorgegeben wird. Da schon die Regelung und nicht erst die Umsetzung eine mittelbare Benachteiligung darstellt, sind Klagen von Regelungsunterworfenen, Betriebsräten, Gewerkschaften (§ 17 II AGG), ggf unterstützt durch Antidiskriminierungsverbände (§ 23 AGG), zumindest auf Unterlassung, schon möglich, wenn die Umsetzung bevorsteht (BTDrs 16/1780, 33).

 

Rn 15

Eine durch statistische Signifikanz begründete Vermutung für die Benachteiligung kann durch von dem Merkmal unabhängige sachliche Gründe widerlegt werden (EuGH NZA 13, 315 – Kenny; EuGHE I 2000, 7505 – Kachelmann; BAG NZA 90, 778 [BAG 23.01.1990 - 3 AZR 58/88]). Bei einem sachlichen Grund nach II Hs 2 liegt schon tatbestandlich keine mittelbare Benachteiligung vor, auf Rechtfertigungsgründe nach §§ 5, 8–10 sowie § 20 kommt es dann nicht mehr an; sie sind jedoch auch nicht ausgeschlossen (BTDrs 16/1780, 33). Die Tarifvertragsparteien haben einen weiten Gestaltungsspielraum (BAG NZA 16, 897 [BAG 09.12.2015 - 4 AZR 684/12]), der allerdings nicht dazu führen darf, Diskriminierungsverbote auszuhöhlen (BAG NZA 19, 1588 [BAG 23.07.2019 - 9 AZR 372/18]).

 

Rn 16

Das Ziel muss rechtmäßig, darf insb nicht selbst diskriminierend (ErfK/Schlachter § 3 Rz 13), muss aber auch nicht sozialpolitisch sein (BAG NZA 17, 715); legitimes Ziel ist zB auch das bessere Funktionieren des Unternehmens (BAG NZA 10, 625; Däubler ZfA 06, 488; vgl aber § 10 Rn 6).

 

Rn 17

Die Differenzierung muss erforderlich sein, also der geringstmögliche Eingriff ggü dem nach § 1 geschützten Personenkreis zur Erreichung des Zieles. Sie muss ferner angemessen sein, dh die Differenzierung und damit einhergehende Beeinträchtigung dieses Personenkreises darf nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des damit angestrebten Ziels stehen.

 

Rn 18

Verlangt daher zB eine Tageszeitung einen Chefredakteur mit perfekten Deutschkenntnissen, so wäre dies möglicherweise eine mittelbare Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft, da Personen anderer ethnischer Herkunft signifikant mehr durch dieses Kriterium ausgeschlossen wären als Personen deutscher Herkunft. Die Differenzierung wäre jedoch sachlich gerechtfertigt, wenn sie einem rechtmäßigen Ziel, nämlich der absolut fehlerfreien Ve...

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