Prof. Dr. Oliver Fehrenbacher
Rn 2
Art 10 führt trotz einer formalen Neuordnung der Anknüpfungstatbestände in vielen Fällen zu keinen anderen Ergebnissen, als sie bisher durch Art 38 EGBGB vorgegeben waren (ebenso: Wagner IPrax 08, 1, 11; v Hein VersR 07, 440, 450). Insb der Gleichlauf zwischen Leistungskondiktion und Vertragsstatut einerseits sowie Eingriffskondiktion und Deliktsstatut andererseits ist weiterhin in der VO angelegt (Kadner Graziano RabelsZ 73 (2010), 1, 66), aber nicht ausdrücklich bestimmt. Einige Neuerungen und Änderungen sind zu beachten. Maßgebend für die Bestimmung des anzuwendenden Rechts ist eine in der Vorschrift angelegte dreistufige Leiter. Vorrangig ist nach Art 10 I die Anknüpfung an das Recht, dem ein zwischen den Parteien bestehendes Rechtsverhältnis unterliegt (akzessorische Anknüpfung). Das Rechtsverhältnis, an welches die Anlehnung erfolgt, kann sich aus Vertrag (Saarbr ZRI 23, 495) oder aus unerlaubter Handlung ergeben. Weist die ungerechtfertigte Vermögensverschiebung keine enge Verbindung zu einem bestehenden Rechtsverhältnis auf, so ist nach II die Rechtsordnung des Staates anzuwenden, in dem beide Parteien zum Zeitpunkt des Eintritts des vermögensverschiebenden Ereignisses ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten. Ist eine Anknüpfung weder durch Anlehnung an ein bestehendes Rechtsverhältnis noch durch einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Parteien möglich, bestimmt sich das anzuwendende Recht nach dem Recht des Staates, in dem die ungerechtfertigte Bereicherung eingetreten ist (III). Um der Einzelfallgerechtigkeit ausreichend Rechnung zu tragen, ist eine Korrektur des nach den I–III gefundenen Ergebnisses nach IV möglich und auf die ungerechtfertigte Bereicherung eine andere Rechtsordnung anzuwenden, sofern der Sachverhalt mit dieser eine engere Verbindung aufweist. Dabei muss die engere Verbindung aber offensichtlich sein.
Rn 3
I knüpft für den Bereicherungsausgleich primär an ein zwischen den Parteien bestehendes Rechtsverhältnis an, wobei der Begriff ›bestehendes Rechtsverhältnis‹ weit zu verstehen ist (›Vertrag und unerlaubte Handlung‹) und insb auch vorvertragliche Rechtsbeziehungen umfasst. In Abgrenzung zu Art 12 I lit e ROM I sind die Folgen der Nichtigkeit von Verträgen dem Anwendungsbereich der ROM II insoweit entzogen. Für alle anderen Arten der Leistungskondiktion wird die akzessorische Anknüpfung an das Schuldstatut festgeschrieben (BGH ZIP 20, 426). Die Anknüpfung gilt auch, wenn ein wirksamer Vertrag nicht bestand (Schlesw BeckRS 21, 26848). In bereicherungsrechtlichen Mehrpersonenverhältnissen greift für die Rückabwicklung rechtsgrundloser Leistungen das Vertragsstatut des Rechtsverhältnisses, auf das sich die herausverlangte Leistung bezieht (MüKo/Junker Art 10 ROM II Rz 21; Grüneberg/Thorn Art 10 ROM II Rz 9). In der Sache hat sich nichts geändert; auf die Kommentierung der gleichgerichteten Vorschrift in Art 38 I EGBGB (Art 38 EGBGB Rn 6 f) wird verwiesen. Zur Eingriffskondiktion s unten Rn 5.
Rn 4
Haben die Parteien bei Entstehung des Schuldverhältnisses, für den Bereicherungsausgleich also im Zeitpunkt der Vermögensverschiebung, ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat, kommt nach II dessen Recht zur Anwendung, wenn I nicht greift (zum gleich formulierten Regelbsp in Art 41 II 2 EGBGB s dort). II geht III vor; erst wenn ein gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt nicht besteht, kommt es nach III auf das Recht des Staates an, in dem die Bereicherung eintritt (s Rn 5).
Rn 5
Für die Eingriffskondiktion war im Gleichklang mit dem Deliktsstatut (Art 40 I EGBGB – grds Handlungsort) bisher nach Art 38 II EGBGB an den Eingriffsort anzuknüpfen. Art 38 II EGBGB findet keine Entsprechung in Art 10 ROM II. Gleichwohl ist neben der unerlaubten Handlung Raum für die bereicherungsrechtliche Qualifikation (Hüßtege/Mansel/Limbach Art 10 ROM II Rz 7). Fraglich ist, ob bereicherungsrechtlich relevante Eingriffe nun unter I fallen oder ob, vorbehaltlich der vorrangig zu prüfenden Anknüpfungsregel des II (gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt, s Rn 4), gem III der Ort maßgeblich sein soll, an dem die Bereicherung eingetreten ist (Ort des Bereicherungserfolges – Leible/Lehmann RIW 07, 721, 732; München BeckRS 18, 174, zur Reparatur eines Fahrzeugs). Letzteres ist der Fall, und zwar auch dann, wenn der Eingriff zugleich eine unerlaubte Handlung darstellt, die in I zwar ausdrücklich erwähnt ist, allerdings iaR mit dem Eingriff zeitlich zusammenfällt und deshalb kein ›bestehendes Schuldverhältnis‹ darstellt, wie es I trotz weiter Auslegung als Anknüpfungstatsache voraussetzt (MüKo/Junker Art 10 ROM II Rz 30; iE ebenso: Wagner IPrax 08, 1, 11; aA: Grüneberg/Thorn Art 10 ROM II Rz 8; Hüßtege/Mansel/Limbach Art 10 ROM II Rz 21). Der angestrebte Gleichlauf mit dem Deliktsstatut ist gewahrt, weil Art 4 I ROM II – ebenfalls mit der Priorität der Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt (Art 4 II ROM II) – nun auf den Ort des Schadenseintritts, also auf den Erfolgsort abstellt, der iaR mit dem O...