Rn 3
Art 5 enthält für die Produkthaftung eine – dort gleichwohl nicht ganz vollständig wiedergegebene – Anknüpfungsleiter, aus der sich folgende fünfstufige Prüfungsreihenfolge ergibt (durch Unterteilung von Stufe drei kann man sogar zu sieben Einzelstufen gelangen):
Rn 4
In erster Linie ist eine Rechtswahl iSd Art 14 zu berücksichtigen. Bei Beteiligung von Verbrauchern kommt allerdings gem Art 14 I lit a nur eine nachträgliche Rechtswahl in Betracht.
Rn 5
Auf der zweiten Stufe ist das Recht des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts anzuwenden, Art 5 I 1 iVm Art 4 II. Der gewöhnliche Aufenthalt ist hier ebenso zu bestimmen wie bei Art 4 II (iVm Art 23).
Rn 6
Als Drittes ist Art 5 I 1 in der Reihenfolge der dort aufgeführten Buchstaben zu prüfen (die dritte Stufe enthält also drei Unterstufen). Entscheidend ist danach in erster Linie das Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts des Geschädigten, in zweiter Linie das Recht des Erwerbsstaates (für digitale Produkte präzisiert iSd Ortes der Produktbereitstellung von Rieländer RabelsZ 23, 264, 288f), sonst das Recht des Staates des Schadenseintritts (also des Erfolgsortes, Art 4 Rn 4), jeweils aber nur, wenn das Produkt in dem nach der jeweiligen Regel maßgeblichen Staat auch in Verkehr gebracht wurde. Hier zeigt sich der Kompromisscharakter der Regelung besonders deutlich, indem einerseits die Geschädigteninteressen, bei der Abstellung auf den Ort des Inverkehrbringens aber auch Belange des Schädigers berücksichtigt werden. Das Inverkehrbringen als für die Anknüpfung wesentliches Kriterium wird nicht definiert (zur künftigen Relevanz dieses Kriteriums für autonome Systeme Heiderhoff IPRax 21, 409, 415 f; ausf Rieländer RabelsZ 23, 264, 281 ff). Ein Rückgriff auf die Rspr zur ProdHaftRL (insb EuGH Slg 06, I-1313 Rz 27) hilft nicht weiter, weil der Begriff dort die zeitliche, nicht die räumliche Dimension betrifft (Illmer RabelsZ 09, 269, 290). IRe autonomen Auslegung sollte für das Inverkehrbringen maßgeblich auf die Abgabe des Produkts an die bestimmungsgemäßen Adressaten abgestellt werden (s.a. Erman/Stürner Anh Art 42 EGBGB Art 5 ROM II Rz 6: ›Vermarktung‹; jurisPK/Lund Art 5 Rz 19; iE auch Frankf EuZW 22, 384, 387; enger BeckOK/Spickhoff Art 5 Rz 9: nur Abgabe an Verbraucher; weiter evtl Illmer RabelsZ 09, 269, 291: Angebot an potentielle Käufer; für eine Orientierung am ›Ausrichten‹ iSd Art 15 I lit c Brüssel Ia-VO Rieländer RabelsZ 23, 264, 284f); dann ergeben sich auch im Hinblick auf weiterverarbeitete Produkte weniger Zweifelsfragen, weil auf das Inverkehrbringen des Endprodukts abzustellen ist. Mit Blick auf Art 5 I 2 wird zu Recht vielfach bereits die Abgabe gleichartiger Produkte als ausreichend angesehen (so zB Hay EuLF 07, I-137, I-145; Huber/Illmer YbPrIntL 07, 31, 42 f; Illmer RabelsZ 09, 269, 292 ff; G Wagner IPRax 08, 1, 7; Grüneberg/Thorn Art 5 Rz 11; MüKo/Junker Art 5 Rz 27 f; ders RIW 10, 257, 266; Huber/Illmer Art 5 Rz 31 ff; NK-BGB/Lehmann Art 5 Rz 82 ff; aA v Hein ZEuP 09, 6, 27 f; Hartley ICLQ 08, 899, 904; für KI-Produkte Rieländer RabelsZ 23, 264, 286f). Die Gleichartigkeit ist im Hinblick auf den für die Produkthaftung maßgeblichen Sicherheitsaspekt zu ermitteln (Huber/Illmer YbPrIntL 07, 31, 43; Illmer RabelsZ 09, 269, 293 f; G Wagner aaO 7). Gleichwohl sind für die Abgrenzung im Einzelfall praktische Probleme zu befürchten.
Rn 7
Als Viertes ist Art 5 I 2 heranzuziehen. Danach ist das Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts des potentiell Haftpflichtigen anzuwenden, wenn er das Inverkehrbringen des Produkts oder eines gleichartigen Produkts in dem Staat, dessen Recht nach Art 5 I 1 lit a–c anzuwenden ist, vernünftigerweise nicht vorhersehen konnte. Durch diese Regelung kann also das nach Art 5 I 1 lit a–c anwendbare Recht im Einzelfall verdrängt werden (s zB Frankf EuZW 22, 384, 387). Das erleichtert Kalkulierbarkeit und Versicherbarkeit der Haftungsrisiken und trägt damit va Produzenteninteressen Rechnung. Die Bestimmung der Vorhersehbarkeit erscheint allerdings schwierig. Dem Wortlaut nach trägt der Produzent insoweit die Darlegungs- und Beweislast (so auch BeckOK/Spickhoff Art 5 Rz 13); welche Anforderungen er jedoch im Einzelfall erfüllen muss, bleibt zweifelhaft. Zumindest müsste er wohl nachweisen, dass er weder Kenntnis noch grob fahrlässige Unkenntnis vom Inverkehrbringen in dem betreffenden Staat hatte (vgl auch Huber/Illmer YbPrIntL 07, 31, 45; Grüneberg/Thorn Art 5 Rz 11; dens FS K Schmidt 1561, 1576), was va dann gelingen dürfte, wenn die Vermarktung von vornherein nachweisbar eingeschränkt war, zB durch Hinweise auf der Verpackung oder vertragliche Absprachen (Illmer RabelsZ 09, 269, 299f). Praktisch nicht auszuschließen ist aber, solange Anhaltspunkte für eine autonome Auslegung fehlen, dass (auch unter Berücksichtigung nationaler Wertvorstellungen) im Einzelfall ein strengerer Maßstab angelegt wird.
Rn 8
Zuletzt ist zu prüfen, ob die Anknüpfungen der vorangegangenen drei Stufen im Einzelfall nach Art 5 II durch...