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Die Anwendung drittstaatlicher Eingriffsnormen wird in Art 16 anders als in Art 9 III ROM I nicht geregelt, da hierzu eine Einigung nicht möglich war. Daraus sollte kein Ausschluss der Sonderanknüpfung, sondern das Vorliegen einer Lücke gefolgert werden (Grüneberg/Thorn Art 16 Rz 3; Heiss/Loacker JBl 07, 644; Kadner-Graziano Rev crit dip 08, 445, 508; Junker RIW 10, 257, 268; MüKo/Junker Art 16 Rz 25 ff; HP/Spickhoff Rz 4; Mansel/Hüßtege/Knöfel Art 16 Rz 6 f; Soergel/Pfeiffer Art 16 Rz 42, der Rz 47 ff aber angebliche ›tatsächliche Berücksichtigung‹ über § 826 BGB für möglich hält; Wagner IPRax 08, 1, 15; Arif ZfRvgl 11, 258, 262 f; Freitag NJW 18, 430, 432; nun auch juris-pk/Engel Art 16 Rz 10; wohl auch Ofner ZfRvgl 08, 13, 23; Plender/Wilderspin 27–005). Die Lücke in Art 16 ist zwar nicht zufällig, beruht aber auch nicht auf umfassender Abwägung und Entscheidung aller denkbaren Fälle. Aufgrund des jedenfalls im Deliktsrecht verbreiteten Schutzes auch öffentlicher Interessen wäre es zudem bedenklich, wenn man dort die Regelanknüpfungen mehr verabsolutierte als im Vertragsrecht, bei dem Art 9 III ROM I gilt. Zudem gebietet der Entscheidungseinklang eine Offenheit für drittstaatliche Eingriffsnormen (so Grüneberg/Thorn Art 16 Rz 3). In Betracht kommt die Anwendung drittstaatlicher Eingriffsnormen insb bei Interessenidentität und bei Vorschriften anderer EU-Mitgliedstaaten; manche wollen eine Parallele zu den Einschränkungen des Art 9 III ziehen (MüKo/Junker Art 16 Rz 28 mNw), doch ist das sachlich zu eng. Als Eingriffsnorm betrachtet wurden in Frankreich eine Verjährungsvorschrift für Persönlichkeitsrechtsverletzungen (Boskovic in: Corneloup/Joubert 08, 183, 193 Fn 17). Der EuGH allerdings hat kürzlich entschieden, dass eine (portugiesische) dreijährige Verjährungsfrist (ggü einer kurzen einjährigen spanischen) nicht als Eingriffsnorm angesehen werden kann, wenn nicht eine ausführliche Analyse eine derartige Bedeutung ergibt (EuGH C-149/18 – Da Silva Martins, EuZW 19, 134 = ECLI:EU:C:2019:84, s.a. Anm Mankowski LMK 19, 417905; Remien FS Chr. Huber 455, 461 ff). Die französische loi de vigilance ist wohl Eingriffsnorm (Nasse Loi de vigilance, Das frz LKSG, 22, 256 ff). Der Ausschluss des Ersatzes von Reflexschäden gilt in England nicht als Eingriffsnorm (KMG International NV v. Chen, [19] EWHC 2389 (Comm) no 50), auch nicht eine sozialversicherungsrechtliche Norm zur Bemessung des Schadensersatzes (Syred v Powszechny Zaklad Ubezpieczen [16] EWHC 254 (QB) no. 144. In Österreich ist die über § 12 PflVersG hinausgehende Entschädigung bei unbekanntem Verkehrstäter nach öVOEG Eingriffsnorm (OGH 21.10.15, 2 Ob 40/15v). Soweit für Muttergesellschaften menschenrechtliche Sorgfaltspflichten bestehen, kommt Art 16 in Betracht (vgl Fleischer/Danninger DB 17, 2849, 2853 mwN; skeptisch Mansel/Hüßtege/Knöfel Art 16 Rz 18). Wird ein ausländisches Embargo verletzt und dadurch das Vermögen Dritter bewusst gefährdet (etwa Beschlagnahme), so kann § 826 eingreifen (BGH NJW 91, 634 [BGH 20.11.1990 - VI ZR 6/90]).