Rn 4
Die Grundanknüpfung in Art 4 I stellt auf das Recht des Staates ab, in dem der Schaden eintritt bzw (Art 2 III lit b) ein Schadenseintritt wahrscheinlich ist. Hier ist wie bei Art 2 (Art 2 Rn 2) der Begriff des Schadens in einem weiten Sinne zu verstehen: Maßgeblich ist nicht der Schadensort iSd herkömmlichen deutschen Verständnisses, sondern der Ort der Rechtsgutsverletzung (also bei Distanzdelikten der Erfolgsort iSd in Deutschland üblichen Terminologie, vgl auch BGHZ 217, 300 Rz 83; Sonnentag ZVglRWiss 06, 256, 265 f; Heiss/Loacker JBl 07, 613, 624; Leible/Lehmann RIW 07, 721, 724 f; G Wagner IPRax 08, 1, 4; BeckOK/Spickhoff Art 4 Rz 6; dens FS Kropholler 671, 681; tw krit zur herkömmlichen Bestimmung des Erfolgsortes Soergel/Wendelstein Art 4 Rz 43 ff). Im Verhältnis zu Art 40 I EGBGB wird gerade der entgegengesetzte Ausgangspunkt (Recht des Erfolgs-, nicht des Handlungsortes, dazu Erw 16) gewählt und zudem kein Günstigkeitsprinzip statuiert (anders Art 7, dort Rn 2 f), so dass die kollisionsrechtliche Begünstigung des Geschädigten hier schwächer ist. Keine Rolle für die Anknüpfung spielt hingegen idR – wie schon zuvor im deutschen IPR (Art 40 EGBGB Rn 11) und auch im internationalen Zuständigkeitsrecht (zB EuGH Slg 76, 1735 Rz 24 f; 95, I-415 Rz 20; I-2719 Rz 14 f; 04, I-6009 Rz 19; 09, I-6917 Rz 23; zur Kohärenz in dieser Hinsicht Schack in v Hein/Rühl, Kohärenz im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht der Europäischen Union 16, 279, 288) – der Ort, an dem lediglich ein Schaden eingetreten ist (Schadensort, s nur Erw 17). Indirekte Schadensfolgen iSd Art 4 I, die keine eigenständige Anknüpfung begründen, sind nach der Rspr des EuGH (NJW 16, 466 Rz 25 ff; zust Kadner Graziano RIW 16, 227 ff; Rieländer RabelsZ 17, 344, 355 ff; Spickhoff ZEuP 17, 953, 963 ff; krit in Bezug auf die Abgrenzung zwischen direkten und indirekten Schadensfolgen zu Recht Mankowski JZ 16, 310 ff) auch die von nahen Verwandten eines Unfallopfers erlittenen Schäden, so dass etwa bei einem Verkehrsunfall in Deutschland § 844 III auch für im Ausland lebende Hinterbliebene zur Anwendung kommt (vgl Jayme IPRax 18, 230, 231). Fällt der Schadensort allerdings zufällig oder sogar (wenn der Schadenseintritt bereits Tatbestandsvoraussetzung ist, wie etwa bei § 826 BGB) zwangsläufig mit dem Erfolgsort zusammen, ist letztlich das Recht dieses Ortes maßgeblich. Art 4 I baut tw auf Grundgedanken aus dem internationalen Zuständigkeitsrecht auf. Anders als iRd Art 7 Nr 2 Brüssel Ia-VO (s insb EuGH Slg 76, 1735 Rz 24 f; 95, I-415 Rz 20; I-2719 Rz 14; 04, I-1417 Rz 40; I-6009 Rz 16; NJW 13, 3627 Rz 26; EuZW 16, 583 Rz 28, zu Art 5 Nr 3 EuGVVO aF) kann der Geschädigte bei Art 4 I aber nicht zwischen dem Recht von Handlungs- und Erfolgsort wählen, sondern es ist an das Recht des Erfolgsortes anzuknüpfen. So kann zwar bei der Auslegung der Regelung, va für die Eingrenzung des für die Anknüpfung maßgeblichen Ortes des Schadenseintritts, auf die Rspr zu Art 5 Nr 3 EuGVVO aF und zu Art 7 Nr 2 Brüssel Ia-VO zurückgegriffen werden; ein Gleichlauf zwischen internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht kann sich aber nur ergeben, wenn der Geschädigte am Erfolgsort klagt.
Rn 5
Die Unterschiede zu Art 40 EGBGB und zur Brüssel Ia-VO wirken sich va bei Distanzdelikten aus, bei denen Handlungs- und Erfolgsort in unterschiedlichen Staaten liegen und für die nach Art 4 I in erster Linie das Recht des Erfolgsortes (Ort des Schadenseintritts in der Terminologie der VO) maßgeblich ist. Zudem spielt bei der Grundanknüpfung an das Recht des Erfolgsortes die Berücksichtigung der Sicherheits- und Verhaltensregeln am Ort des haftungsbegründenden Ereignisses nach Art 17 eine wichtigere Rolle.
Rn 6
Wenn bei Streudelikten Verletzungserfolge an mehreren Orten eintreten, wird mitunter angenommen, dass – wie iRv Art 40 EGBGB und Art 7 Nr 2 Brüssel Ia-VO – der Geschädigte das Recht jedes dieser Orte wählen könne (›Mosaikbetrachtung‹, s insb EuGH Slg 95, I-415 Rz 29 ff). Im ersten ROM II-Entwurf war eine solche Mosaikbetrachtung jedenfalls mit bedacht (KOM [03] 427 12). In den folgenden Versionen finden sich insoweit keine Ausführungen, aber auch keine Distanzierung von dieser Betrachtungsweise. Daher dürften die Erwägungen des ersten Entwurfs, die sich auf die im Wesentlichen unveränderte Grundanknüpfung für Deliktsansprüche (jetzt Art 4 I) beziehen, weiter gelten (s auch Study on the Rome II Regulation [EC] 864/2007 on the law applicable to non-contractual obligations, https://op.europa.eu/en/publication-detail/-/publication/11043f63-200c-11ec-bd8e-01aa75ed71a1, S 48, 74 f, zuletzt abgerufen am 8.1.24), auch wenn für den Wettbewerb einschränkende Verhaltensweisen eine Mosaikbetrachtung zunächst favorisiert (ABl 06, C 289 E/68, Erw 20), in dieser Form aber nicht in die endgültige Version der VO übernommen wurde. Allerdings kann iRd Mosaikbetrachtung – in Anlehnung an die bei Art 7 Nr 2 Brüssel Ia-VO anerkannte Einschränkung der Kognitionsbefugnis der Gerichte (s nu...