Rn 7
Auf Ansprüche Privater wegen Kartellrechtsverstößen ist nach Art 6 III lit a in erster Linie das Recht des Staates anzuwenden, dessen Markt beeinträchtigt ist oder wahrscheinlich beeinträchtigt wird. Normiert wird also das schon bisher im internationalen Kartellrecht ganz überwiegend anerkannte Auswirkungsprinzip (eindeutiger war dieses noch im Gemeinsamen Standpunkt des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl 06, C 289 E/68, formuliert), aber im Unterschied zu den vorher in Deutschland und den meisten anderen Staaten geltenden Regeln nicht als einseitige, sondern als allseitige Kollisionsnorm (s zB Staud/Fezer/Koos Int WirtschR Rz 345; Heiss/Loacker JBl 07, 613, 630 f; Scholz/Rixen EuZW 08, 327, 330; Ofner ZfRV 08, 13, 19; Mankowski IPRax 10, 389, 396 f; Immenga FS Kühne 725, 730 ff; W-H Roth FS Kropholler 623, 626 ff, 637 ff – zu Recht auch gegen eine einschränkende Auslegung unter Rückgriff auf Erw 23). Entscheidend ist, dass sich der Wettbewerbsverstoß auf dem (autonom zu bestimmenden) relevanten Angebots- oder Nachfragemarkt (dazu W-H Roth FS Kropholler 623, 642) auswirkt (zur Relativierung des in Art 6 III verwendeten Begriffs der Beeinträchtigung W-H Roth FS Kropholler 623, 640; zu einzelnen Wettbewerbsbeeinträchtigungen Wurmnest EuZW 12, 933, 937); eine Unmittelbarkeit oder Spürbarkeit der Auswirkung ist auf kollisionsrechtlicher Ebene nicht erforderlich (Umkehrschluss aus Art 6 III lit b; aA Hellner YbPrIntL 07, 49, 61 f; Mankowski RIW 08, 177, 186; Staud/Fezer/Koos Int WirtschR Rz 363), kann aber bei der Anwendung des materiellen Kartellrechts eine Rolle spielen (dazu zB W-H Roth FS Kropholler 623, 640f). Über die Anknüpfungsregel können die Gerichte der Mitgliedstaaten ggf zur Anwendung ausländischen Rechts, einschließlich des Kartellrechts von Drittstaaten, verpflichtet sein. Sofern diese Regeln von nationalen Grundvorstellungen stark abweichende oder sehr weitgehende Sanktionen enthalten, kommt eine Nichtanwendung allenfalls unter den strengen Voraussetzungen des Art 26 in Betracht (s zB Scholz/Rixen EuZW 08, 327, 331; W-H Roth FS Kropholler 623, 635 f; ähnl Mankowski RIW 08, 177, 187f).
Rn 8
Da auch Wettbewerbsverstöße häufig den Charakter von Streudelikten haben, kommt hier wiederum eine Mosaikbetrachtung (s.o. Art 4 Rn 6) in Frage (s.a. Tzakas DAJV Newsletter 12, 19, 25; NK-BGB/Weller Art 6 Rz 37; Soergel/Remien Art 6 Rz 52 ff; Hambg WRP 23, 1500 Rz 52). Ihre Folgen werden für Kartellrechtsverstöße durch Art 6 III lit b abgemildert. Danach kann der Geschädigte im Falle solcher Streudelikte bei Klage im Mitgliedstaat des Wohnsitzes des Beklagten (nach Art 4 I Brüssel Ia-VO, bei mehreren Beklagten insb nach Art 8 Nr 1 Brüssel Ia-VO, dazu – in Bezug auf die EuGVVO aF – Hellner YbPrIntL 07, 49, 65; Scholz/Rixen EuZW 08, 327, 332; Mankowski RIW 08, 177, 191; für eine Erweiterung des Anwendungsbereichs des Art 6 III lit b über diese Fälle hinaus Heiss/Loacker JBl 07, 613, 630; Hellner YbPrIntL 07, 49, 65; Kühne FS Deutsch 09, 817, 832) seine Klage auf das Recht dieses Mitgliedstaats stützen, wenn der Markt in diesem Mitgliedstaat unmittelbar und wesentlich beeinträchtigt wird (mit zusätzlicher Einschränkung für Klagen gegen mehrere Beklagte in Hs 2). Insoweit wird also iE eine Rechtswahlmöglichkeit mit einigem Potential für forum shopping eröffnet, die sich jedoch insb unter Berücksichtigung des Regelungszwecks nicht auf (einzelstaatliches oder europäisches) Kartellrecht erstreckt, sondern auf das Deliktsrecht des Forums beschränkt werden sollte (s W-H Roth FS Kropholler 623, 647 f; Tzakas DAJV Newsletter 12, 19, 25; Wurmnest EuZW 12, 933, 939; Lühmann RIW 19, 7, 19; ähnl Scholz/Rixen EuZW 08, 327, 331f). Das führt va in Bezug auf Rechtsverletzungen, die sich in Drittstaaten auswirken, zu einer Einschränkung der Rechtswahl (noch weitergehend Scholz/Rixen EuZW 08, 327, 331). Die Modalitäten (zB Zeitpunkt und Form) der Ausübung des Wahlrechts sind mangels Regelung in der VO dem Recht der Mitgliedstaaten zu entnehmen (s.a. W-H Roth FS Kropholler 623, 647; für eine analoge Anwendung von Art 46a EGBGB v Plehwe FS G Müller 159, 172).
Rn 9
Abgesehen von der Möglichkeit des Art 6 III lit b ist eine Rechtswahl bei Ansprüchen wegen den freien Wettbewerb einschränkenden Verhaltens gem Art 6 IV unzulässig.