Rn 8
Vorrang ggü der Grundanknüpfung nach Art 4 I hat die Anknüpfung an einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt von Schädiger und Geschädigtem nach Art 4 II (zu rechtspolitischer Kritik an dieser Regelung und Gegenargumenten Dornis EuLF 07, I-152 ff). Dieser autonom auszulegende Anknüpfungspunkt wird für Gesellschaften, Vereine und juristische Personen sowie für natürliche Personen, die iRd Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit handeln, in Art 23 konkretisiert. IÜ dürfte für natürliche Personen in Anlehnung an allg Grundsätze der räumliche Bereich maßgeblich sein, in dem die Person willentlich für eine gewisse Dauer ihren Daseinsmittelpunkt hat (s zB Hohloch YbPrIntL 07, 1, 12). Wie schon zuvor im deutschen Recht, sollte auch bei Art 4 II dieser Anknüpfungspunkt als unwandelbar betrachtet werden, so dass eine Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts nach Eintritt des haftungsbegründenden Ereignisses unbeachtlich ist (s zB BeckOK/Spickhoff Art 4 Rz 12; Erman/Stürner Anh Art 42 EGBGB Art 4 ROM II Rz 19; Grüneberg/Thorn Art 4 Rz 5; BeckOGK/Rühl Art 4 Rz 100 mwN; englischer High Court: Winrow v Hemphill [2014] EWHC 3164, dazu insb Rentsch GPR 15, 191, 195 ff). Anwendbar bleiben nach Art 17 die am Handlungsort geltenden Sicherheits- und Verhaltensregeln (München NZV 17, 53 [OLG München 04.11.2016 - 10 U 2408/16]). Die Anknüpfung nach Art 4 II stellt keine flexible Ausweichregel für bestimmte Fälle dar, sondern verdrängt zwingend Art 4 I und kann ihrerseits allenfalls über Art 4 III überwunden werden, wenn eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen Staat besteht (so etwa im Fall des England and Wales High Court: Marshall v MiB [2015] EWHC 3421), also nicht bereits dann, wenn die Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt im Einzelfall unangemessen erscheint. Nicht geklärt ist die Anwendbarkeit des Art 4 II bei mehreren Schädigern. Hier wird teilw angenommen, insb wegen möglicher Regresse sei das anwendbare Recht nicht aufzusplittern, sondern Art 4 II nur anzuwenden, wenn die Aufenthaltsorte sämtlicher Schädiger mit dem des Geschädigten identisch seien (Huber/Bach IPRax 05, 73, 76; ähnl Schulte Schädigermehrheit im europäischen Deliktsrecht 20, 388 ff). Andererseits lässt sich auch durch eine Anwendung anderer Regeln eine dépeçage nicht stets vermeiden, so dass eine derartige, vom Wortlaut nicht gedeckte Einschränkung von Art 4 II nicht geboten erscheint (für dépeçage auch zB Dornis EuLF 07, I-152 ff; Hartley ICLQ 08, 899, 900; H Jacobs IPRax 22, 85, 87; BeckOGK/Rühl Art 4 Rz 95 f; England and Wales High Court: Marshall v MiB [2015] EWHC 3421; Owen v Galgey and others [2020] EWHC 3546, allerdings in beiden Fällen wegen Anwendung von Art 4 III letztlich nicht entscheidungserheblich). Eine analoge Anwendung von Art 4 II auf Fälle, in denen Schädiger und Geschädigter ihren gewöhnlichen Aufenthalt in unterschiedlichen EU-Staaten mit ähnlichen Rechtsordnungen haben, das schädigende Ereignis jedoch in einem Drittstaat zu lokalisieren ist (s Symeonides AmJCompLaw 08, 173, 196), erscheint methodisch sowie in Bezug auf die Rechtssicherheit bedenklich. Hier dürfte vielfach über Art 4 III eine interessengerechte Lösung zu finden sein (so auch v Hein RabelsZ 09, 461, 482).