Prof. Dr. Oliver Fehrenbacher
Gesetzestext
(1) Knüpft ein außervertragliches Schuldverhältnis aus Geschäftsführung ohne Auftrag an ein zwischen den Parteien bestehendes Rechtsverhältnis – wie einen Vertrag oder eine unerlaubte Handlung – an, das eine enge Verbindung mit dieser Geschäftsführung ohne Auftrag aufweist, so ist das Recht anzuwenden, dem dieses Rechtsverhältnis unterliegt.
(2) Kann das anzuwendende Recht nicht nach Absatz 1 bestimmt werden und haben die Parteien zum Zeitpunkt des Eintritts des schadensbegründenden Ereignisses ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat, so ist das Recht dieses Staates anzuwenden.
(3) Kann das anzuwendende Recht nicht nach den Absätzen 1 oder 2 bestimmt werden, so ist das Recht des Staates anzuwenden, in dem die Geschäftsführung erfolgt ist.
(4) Ergibt sich aus der Gesamtheit der Umstände, dass das außervertragliche Schuldverhältnis aus Geschäftsführung ohne Auftrag eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen als dem in den Absätzen 1, 2 und 3 bezeichneten Staat aufweist, so ist das Recht dieses anderen Staates anzuwenden.
A. Überblick.
I. Anknüpfungsleiter.
Rn 1
Art 11 regelt die Grundanknüpfung für Ansprüche des Geschäftsherrn gegen den Geschäftsführer, aber auch für Ansprüche des Geschäftsführers gegen den Geschäftsherrn aus einer Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA). Aufgrund der universellen Anwendung der VO (Art 3) kommt der nationalen Regelung in Art 39 EGBGB praktisch keine Bedeutung mehr zu, sieht man vom zeitlichen Anwendungsbereich der VO (in Kraft getreten am 11.1.09) ab. Maßgebend für die Bestimmung des anzuwendenden Rechts ist eine in der Vorschrift angelegte dreistufige Leiter, ähnl der ungerechtfertigten Bereicherung. Vorrangig ist nach Art 11 I die Anknüpfung an das Recht, dem ein zwischen den Parteien bestehendes Rechtsverhältnis unterliegt. Das Rechtsverhältnis, an welches die Anlehnung erfolgt, kann sich aus Vertrag oder aus unerlaubter Handlung ergeben. Weist die GoA keine enge Verbindung zu einem bestehenden Rechtsverhältnis auf, so ist nach II die Rechtsordnung des Staates anzuwenden, in dem beide Parteien zum Zeitpunkt des Eintritts des schadensbegründenden Ereignisses ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten. Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass mit der GoA nicht nur der Schadensausgleich ermöglicht wird, sondern häufig auch der Aufwendungsersatz in Frage steht. Im Hinblick auf den Zeitpunkt des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts ist insoweit auf die Vornahme der Aufwendungen abzustellen (Wagner IPRax 08, 1, 11). Ist eine Anknüpfung weder durch Anlehnung an ein bestehendes Rechtsverhältnis noch durch einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Parteien möglich, bestimmt sich das anzuwendende Recht nach dem Recht des Staates, in dem die Geschäftsführung erfolgt ist (III). Um der Einzelfallgerechtigkeit ausreichend Rechnung zu tragen, ist eine Korrektur des nach den I–III gefundenen Ergebnisses nach IV möglich und auf die GoA eine andere Rechtsordnung anzuwenden, sofern der Sachverhalt mit dieser eine engere Verbindung aufweist. Dabei muss die engere Verbindung aber offensichtlich sein. Betrachtet man die Regelungen, weisen Art 11 und Art 39 EGBGB doch erhebliche Unterschiede auf. Bezieht man aber Art 41 EGBGB in die Betrachtung mit ein, bringt Art 11 in erster Linie die schon iRd Anwendung des Art 39 EGBGB bestehende Hierarchie deutlicher zum Ausdruck.
II. Vorrangige und ergänzende Regelungen.
Rn 2
Die Regelung in Art 11 wird durch eine Rechtswahl (Art 14) verdrängt (vgl Art 14). Die Wahl kann ausdrücklich oder bei hinreichender Sicherheit auch konkludent erfolgen. Falls Art 11 für die Bestimmung des anzuwendenden Rechts zur Anwendung kommt, ist für die Reichweite Art 15 zu beachten. Ferner sind die Art 16 ff zu berücksichtigen. Aus Art 24 ergibt sich, dass es sich bei Art 11 stets um eine Sachnormverweisung handelt. Eine Rück- oder Weiterverweisung ist ausgeschlossen. Für eine GoA, gerichtet auf Hilfeleistungen bei der Bergung in See- und Binnengewässern, ist wegen Art 28 das Internationale Übereinkommen über Bergung (IÜB) vorrangig (Einzelheiten bei Bahnsen TranspR 10, 317). Danach wird eine Vergütung für die Bergung bei Erfolg oder die Abwendung bzw Begrenzung drohender Umweltschäden gewährt. Auf hoher See ist regelmäßig das Heimatrecht des hilfsbedürftigen Schiffes berufen (MüKo/Junker Art 11 ROM II Rz 25; Bestimmung durch den Heimathafen, ersatzweise durch die Flagge). Für den Erstattungsanspruch gegen einen Unterhaltsschuldner ist die vorrangige Anknüpfung in Art 18 VI Nr 3 zu beachten, die auf dem Haager Unterhaltsübereinkommen von 1973 beruht.
B. Geschäftsführung ohne Auftrag.
Rn 3
Das IPR der GoA spielt in der Rechtspraxis nur eine untergeordnete Rolle. Die kollisionsrechtliche Qualifikation der GoA iSd Art 11 erfolgt im Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen nach der autonomen Auslegung der Verordnung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der kollisionsrechtliche, von der Verordnung bestimmte, und der materiell-rechtliche Begriff der GoA nicht identisch sind (vgl auch Art 39 EGBGB Rz 4). Die GoA kann in unterschiedlichen Fallgruppen oder Typen auftreten. Dabei lassen...