Gesetzestext
(1) Auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrags, unabhängig davon, ob der Vertrag tatsächlich geschlossen wurde oder nicht, ist das Recht anzuwenden, das auf den Vertrag anzuwenden ist oder anzuwenden gewesen wäre, wenn er geschlossen worden wäre.
(2) Kann das anzuwendende Recht nicht nach Absatz 1 bestimmt werden, so ist das anzuwendende Recht
a) |
das Recht des Staates, in dem der Schaden eingetreten ist, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind, oder, |
b) |
wenn die Parteien zum Zeitpunkt des Eintritts des schadensbegründenden Ereignisses ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat haben, das Recht dieses Staates, oder, |
c) |
wenn sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass das außervertragliche Schuldverhältnis aus Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrags eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen als dem in den Buchstaben a oder b bezeichneten Staat aufweist, das Recht dieses anderen Staates. |
A. Allgemeines.
Rn 1
Art 12, der erst durch den Rat in das Gesetzgebungsverfahren eingeführt wurde, enthält Kollisionsregeln für Ansprüche aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen, das als außervertragliches Schuldverhältnis qualifiziert wird (s.o. Art 2 Rn 1; krit MPI RabelsZ 07, 225, 238 ff). Allerdings wird iRd Anknüpfungsregeln tw zwischen unterschiedlichen Ausprägungen der culpa in contrahendo differenziert.
B. Anwendungsbereich.
Rn 2
Der Begriff Verschulden bei Vertragsverhandlungen ist gem Erw 30 autonom auszulegen und betrifft nur außervertragliche Schuldverhältnisse, die im unmittelbaren Zusammenhang mit den Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrags stehen. Eingeschlossen sind die Verletzung der Offenlegungspflicht und der Abbruch von Vertragsverhandlungen, während Personenschäden, die während der Vertragsverhandlungen zugefügt werden, nach Art 4 oder anderen einschlägigen Regeln der VO zu beurteilen sind (Erw 30). Insgesamt wird die culpa in contrahendo in Art 12 enger gefasst als im deutschen Sachrecht und umfasst insb nicht die Fälle von Schutzpflichtverletzungen (wobei nicht nur Personen-, sondern auch Sachschäden, die durch solche Verletzungen verursacht werden, nach Art 4 beurteilt werden sollten, s.a. BeckOK/Spickhoff Art 12 Rz 3; Lüttringhaus RIW 08, 193, 197 f; Junker FS Köhler 325 ff; ausf zum Anwendungsbereich Ersoy Die culpa in contrahendo im europäischen Internationalen Privat- und Verfahrensrecht 20, 251 ff). Diese Einschränkung ist iRd Qualifikation wichtig für die Abgrenzung zwischen Art 12 und Art 4 (dazu insb Hocke IPRax 14, 305 ff; Ersoy Die culpa in contrahendo im europäischen Internationalen Privat- und Verfahrensrecht 20, 132 ff, 177 ff, beide mit unterschiedlichen Ansätzen; für ein Abstellen auf das transaktionsspezifische Risiko BeckOGK/Schinkels Art 12 Rz 28). Die Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten sollte wegen ihres engen Zusammenhangs mit dem Vertrag selbst ebenfalls nicht als Verschulden bei Vertragsverhandlungen iSd Art 12 qualifiziert, sondern nach der ROM I-VO angeknüpft werden (s.a. Heiss/Loacker JBl 07, 613, 639; Leible/Lehmann RIW 07, 721, 733; aA Gomille JZ 17, 289, 291; Ersoy Die culpa in contrahendo im europäischen Internationalen Privat- und Verfahrensrecht 20, 136 ff). Nicht ausdrücklich genannt, aber iRd fragmentarischen Definition von Erw 30 durchaus unter Art 12 subsumierbar (s insb Lüttringhaus RIW 08, 198; diff Ebke ZVglRWiss 10, 397, 435 f; aA Ersoy Die culpa in contrahendo im europäischen Internationalen Privat- und Verfahrensrecht 20, 199 ff) sind die Fälle einer Dritthaftung (zB Sachwalterhaftung, Eigenhaftung von Verhandlungsgehilfen, evtl auch Haftung für Angebot sittenwidriger Terminoptionsgeschäfte, Engert/Groh IPRax 11, 458, 468; Thole ZBB 11, 399, 405), denn hier greift Art 1 II lit c nicht (Art 1 Rn 4; Thole aaO; diff Staud/Maultzsch Art 12 Rz 48 ff), weil die haftungsbegründende Handlung regelmäßig im unmittelbaren Zusammenhang mit Vertragsverhandlungen steht. Für die Einbeziehung dieser Fälle spricht auch, dass für Art 12 II sonst kaum noch ein relevanter Anwendungsbereich verbliebe (s.u. Rn 6). Auch Verstöße gegen Antidiskriminierungsregeln im Vorfeld eines Vertrags können von Art 12 erfasst werden (Hoffmann/Bierlein ZEuP 20, 47, 52), während die diskriminierende Verweigerung einer Aufnahme von Vertragsverhandlungen der allgemeinen Anknüpfung nach Art 4 zuzuordnen ist (Hoffmann/Bierlein ZEuP 20, 47, 53). Die persönlichkeitsrechtlichen Aspekte dürften insofern nur eine untergeordnete Rolle spielen, sodass eine Anknüpfung nach der Rom II-VO trotz Art 1 II lit g angemessen erscheint (ähnl Hoffmann/Bierlein ZEuP 20, 47, 54).
C. Anknüpfungsregeln.
Rn 3
Art 12 enthält ein kompliziertes System von Anknüpfungsregeln, deren Verhältnis zueinander tw str ist. Auf jeden Fall ist vorrangig eine Rechtswahl iSd Art 14 zu prüfen, danach eine Anknüpfung nach Art 12 I und zuletzt Art 12 II (die Abgrenzung zu Art 4 erfolgt bereits bei der Qualifikation, s.o. Rn 2). Das Verhältnis d...