I. Eingrenzungen.
Rn 2
Der Anwendungsbereich des Art 6 wird in I näher umschrieben und eingeschränkt: Es muss ein Vertrag zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer vorliegen und eine der Anbahnungssituationen nach lit a) oder b) gegeben sein. Auf die Art des Vertrages kommt es anders als früher nur noch hinsichtlich der sachlichen Ausnahmen des IV an (s.u. Rn 25 ff). Soweit Art 6 nicht eingreift, stellt sich die problematische Frage, ob auf Art 9 zurückgegriffen werden kann (dazu s.u. Art 9 ROM I Rn 3). Bei einer Verbandsklage wegen unangemessener AGB beurteilt sich die Missbräuchlichkeit nach dem gem Art 6 zu bestimmenden Recht (u Rn 11 a.E. 22, 23). Gesellschaftsrechtliche Fragestellungen fallen wg Art 1 II f) grds auch nicht unter Art 6, anders nur bei reiner Innengesellschaft (Mankowski IPRax 21, 432, 439; s.a. zur Brüssel Ia-VO und dem rev LugÜ BGH LMK 21, 804807 m Anm Nordmeier; weiter hingegen HK/Staudinger Art 6 Rz 5).
II. Verbraucherverträge.
Rn 3
Art 6 gilt ausdrücklich nur für Verträge, die zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer geschlossen werden. Dies folgt dem Schutzkonzept der Verbraucherrichtlinien (vgl auch §§ 13, 14 BGB). Damit aber ist wichtig nicht nur, dass der eine Verbraucher, sondern auch, dass der andere Unternehmer ist. Privatgeschäfte unter Nichtgewerbetreibenden sind nicht (mehr) umfasst. Die alte Streitfrage (ex Art 29 EGBGB 7. Aufl Rz 6), ist damit überholt und bejahend entschieden. Ferner ist Verbraucher nunmehr eindeutig nur eine natürliche Person, sonst bringt die Norm zu den Begriffen Verbraucher und Unternehmer und der dual use-Problematik nichts Neues.
Rn 4
Verbraucher ist eine natürliche Person, die einen Vertrag zu einem nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zuzurechnenden Zweck geschlossen hat. Auch die private Vermögensanlage ist erfasst (MüKo/Martiny Art 6 Rz 15; BGH IX ZR 10/16; zu Art 29 EGBGB BGHZ 123, 480; High Court London in Standard Bank of London v Apostolakis auch bis 50 Mio EUR; Stuttg 27.4.15 – 5 U 120/14; ferner Calliess/Renner/Calliess Art 6 Rz 27), zur EuGVVO ist das für Differenzgeschäfte anerkannt (EuGH Rs C-208/18 – Petruchová, NZG 20, 119 = ECLI:EU:C:2019:825). Transaktionswert, Risiken, Kenntnisse, Erfahrungen sind grds unerheblich (ebd). Der Begriff hat objektiven Charakter (EuGH C-110/14 – Costea, ZIP 15, 1882 = ECLI:EU:C:2015:538 zur RL 93/13). Zur EuGVVO relativierend Kainer ZBB 18, 368 ff. [BGH 17.10.2019 - IX ZR 215/16] Der Anwaltsvertrag zur Rückabwicklung eines Verbrauchergeschäfts ist Verbrauchergeschäft (BGH IX ZR 10/16 Rz 51). Der Patient ist Verbraucher (Reisewitz 164, beachte aber IV lit. a). Ausdrücklich wird nur die natürliche Person als Verbraucher gesehen. Beruflich oder gewerblich bedeutet iRd Tätigkeit als Freiberufler oder jeder selbstständigen geschäftlichen Tätigkeit (MüKo/Martiny Art 6 Rz 15). Der Hobbyrennfahrer ist trotz Werbeaufkleber Verbraucher (OGH – 1 Ob 115/12m). Ein Pokerspieler, der viele Stunden am Tag spielt und auch erhebliche Gewinne zwecks Finanzierung seines Lebensunterhalts erzielt, ist ebenso Verbraucher (EuGH C-774/19 – A.B. = ECLI:EU:C:2020:1015). Anders als bei §§ 13, 14 BGB fehlt hier im Gesetzestext die Einschränkung ›selbstständig‹ vor beruflich. Zweckentspr scheint es jedoch, auch dem zu Zwecken abhängiger beruflicher Tätigkeit Handelnden den Schutz zukommen zu lassen (a Grüneberg/Thorn Rz 6; komplizierend Mankowski ZVglRWiss 06, 120, 146; dies lehnt der EuGH jedoch ab, Urt v 20.10.22 – C-604/20 Rz 54 f – ROI Land Investments = ECLI:EU:C:2022:331; Urt v 9.3.23 – C-177/22 Rz 26 – Wurth Automotive = ECLI:EU:C:2023:185). Eine Ausdehnung auf schutzbedürftige Gewerbetreibende hat der EuGH zum materiellen Recht in di Pinto abgelehnt (EuGH C-361/89, Slg 1991, I-1189 – di Pinto); wegen des Bedürfnisses nach kollisionsrechtlicher Sicherheit dürfte dem mindestens hier zu folgen sein. Existenzgründer lässt der EuGH in Benincasa nicht unter Art 13 EuGVÜ, jetzt Art 17 (ex 15) EuGVVO, fallen (EuGH C-296/95, Slg 1997, I-3767 – Benincasa; nun auch EuGH C-630/17 – Milijoviá, NJW 19, 2994 = ECLI:EU:C:2019:123 Rz 89) und für Art 6 wird entspr zu entscheiden sein (ebenso Frankf, ZVertriebsR 22, 59 Rz 24; HP/Spickhoff Art 6 Rz 20; Rühl GPR 13, 122, 124, sowie zu Art 5 EVÜ Czernich/Heiss Art 5 Rz 10). Bei Abtretung der Forderung des Verbrauchers ändert sich nach vorzugswürdiger Ansicht aus Gründen der Rechtssicherheit (MüKo/Martiny Art 6 Rz 18 mwN; a LG Düsseldorf BeckRS 22, 27757) und Werterhaltung der Forderung nichts (aA zur EuGVVO, EuGH Rs Shearson Lehmann Hutton./. TVB 1993, I-139 = ECLI:EU:C:1993:15).
Rn 5
Wie im materiellen Recht kann sich die Frage des doppelten Verwendungszwecks (dual use) stellen, die umstr ist. Ausschlaggebend sollte der überwiegende Zweck sein (so auch MüKo/Martiny Art 6 Rz 16; Grüneberg/Thorn Art 6 Rz 5). So hebt schon der Bericht Giuliano/Lagarde darauf ab, dass die Person ›im Wesentlichen außerhalb des Rahmens ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit handelt‹ (BTDrs 10/503/Giuliano 55). Die VRRiL entsc...