Prof. Dr. Eckart Brödermann
Rn 11
Ob eine stillschweigende Rechtswahl des Vertragsstatuts vorliegt, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu entscheiden (vgl BGH NJW 92, 618 [BGH 08.10.1991 - XI ZR 64/90]; NJW-RR 97, 686 [BGH 28.01.1997 - XI ZR 42/96]; 99, 813; NJW 01, 1936; eingehend Staud/Magnus Art 3 Rz 74–103). Nach I 2 reicht es aus, wenn sich die Rechtswahl mit hinreichender Sicherheit aus den Bestimmungen des Vertrages oder aus den Umständen des Falles ergibt. Für eine nachträgliche Änderung der einmal getroffenen Rechtswahl stellt II keine höheren Anforderungen (BGH NJW-RR 00, 1002 [BGH 19.01.2000 - VIII ZR 275/98]).
aa) Gerichtsstandsvereinbarung.
Rn 12
Eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung ist ein gewichtiges Indiz für die stillschweigende Wahl des Rechts am Gerichtsort (›qui eligit iudicem, eligit ius‹) (Rauscher/von Hein Art 3 Rz 26; Grüneberg/Thorn Art 3 Rz 7; HP/Spickhoff Art 3 Rz 23; NK-BGB, Bd. 6, Hüßtege/Mansel/Leible Art 3 Rz 51; BGHZ 104, 268; NJW 91, 1420; 96, 2569; NJW-RR 90, 183; BAG BeckRS 14, 71952 Rz 36 zu ex Art 27 EGBGB, kritisch Mankowski IPRax 15, 309, 310; Frankf BeckRS 18, 36235). Dies gilt jedoch nur dann, wenn die Gerichtsstandsvereinbarung wirksam ist (BGH DB 69, 1053 [BGH 07.05.1969 - VIII ZR 142/68]; s aber auch Celle IPRspr 99 Nr 31 76; differenzierend nach dem Grund der Unwirksamkeit AnwK/Leible Art 27 Rz 48). Es handelt sich jedoch nur um ein Indiz. Sprechen weitere Bestimmungen des Vertrages oder die Gesamtheit der Umstände dagegen, so kann die Gerichtsstandsvereinbarung als Indiz dahinter zurücktreten (KG IPRspr 94 Nr 21b 57). An einer Indizwirkung soll es nach wohl hM fehlen, wenn eine nicht ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung getroffen wurde (s MüKoIPR/Martiny Art 3 Rz 51 und Staud/Magnus Art 3 Rz 78; s.a. BGH NJW-RR 86, 456) oder wenn bestimmt ist, dass das Gericht am Sitz des jeweiligen Beklagten anzurufen ist (Kobl RIW 93, 934).
bb) Schiedsklausel.
Rn 13
Die Vereinbarung der Zuständigkeit eines Schiedsgerichts eines bestimmten Landes bzw eines ständigen Schiedsgerichts lässt nicht ohne weiteres auf eine stillschweigende Wahl des Rechts am Sitz des Schiedsgerichts schließen (vgl BGH IPRspr 96 Nr 121, 265; NJW-RR 05, 206 [BGH 26.07.2004 - VIII ZR 273/03]; BAG NZA 08, 761 [BAG 19.03.2008 - 5 AZR 435/07]; Hambg IPRspr 82 Nr 38 S 82; Ddorf TranspR 92, 415; Ferrari/Ferrari Art 27 EGBGB Rz 27; NK-BGB, Bd. 6, Hüßtege/Mansel/Leible Art 3 Rz 54 mwN (›qui eligit arbitrum, eligit ius‹)). Die Vereinbarung der Schiedsgerichtsbarkeit der International Chamber of Commerce (ICC) in Paris stellt im Regelfall keinen Hinweis auf das anzuwendende Recht dar, da eine Entscheidung häufig nicht am Sitz der ICC ergeht (MüKoIPR/Martiny Art 3 Rz 52 f und Staud/Magnus Art 3 Rz 81 jeweils mwN; s Stuttg AWD 60, 246). Der kollisionsrechtliche Maßstab ist bei Sitz des Schiedsgerichts in Deutschland § 1051 ZPO, s Art 1 Rn 21.
cc) Prozessverhalten.
Rn 14
Gehen die Parteien während eines Rechtsstreits im deutschen Prozess übereinstimmend von einem bestimmten Recht aus, so wird daraus zumeist auf die stillschweigende Wahl eines Rechts geschlossen (BGH NJW-RR 90, 249; Hamm BeckRS 13, 16794; KG BeckRS 18, 38225; Saarbr BeckRS 21, 29631); so auch, wenn eine Partei der behaupteten Anwendbarkeit eines Rechts nicht entgegentritt (BGH NJW 70, 999; anders aber wohl BGHZ 121, 224). Die am Rechtsstreit beteiligten Parteien müssen mit den Vertragsparteien identisch sein; das Prozessverhalten von Kläger und Beklagtem begründet keine konkludente Rechtswahl im Hinblick auf den Schuldbeitritt eines Dritten (BAG NJW 16, 2285, 2286 [BAG 23.03.2016 - 5 AZR 767/14]). Behandeln beide Parteien ihren Fall nach der gleichen ausländischen Rechtsordnung, liegt idR eine Rechtswahl vor (vgl BGH NJW-RR 90, 248 [BGH 24.11.1989 - V ZR 240/88]); deshalb kommt in der Praxis der Klage und der Klageerwiderung besondere Bedeutung für die Rechtswahl zu. Jedoch reicht die übereinstimmend geäußerte irrige Auffassung, eine bestimmte Rechtsordnung sei maßgeblich, nicht aus (BGH NJW-RR 00, 1002), auch wenn in der Rspr eine Tendenz besteht, die Wahl deutschen Rechts anzunehmen, wenn auf seiner Grundlage im Prozess plädiert wurde (BGH NJW 91, 1293; BGHZ 116, 184). Nicht genügen soll hingegen das bloße Plädieren deutschen Rechts in Unkenntnis der Rechtsanwendungsproblematik (Köln VersR 92, 1527, 1528) oder unter Nichtbeachtung einer bereits getroffenen Rechtswahl; gleiches muss für die schriftsätzliche Argumentation in offensichtlicher Verkennung der Rechtswahlproblematik gelten (eingehend Magnus IPRax 10, 27, 33; BGH NJW 09, 1205, 1206 [BGH 30.10.2008 - I ZR 12/06]). Erforderlich ist ein aktuelles Erklärungsbewusstsein (HP/Spickhoff Art 3 Rz 21 mwN). Als beachtliches – wenn auch nicht alleiniges – Kriterium soll die außerprozessuale Mitarbeit von Rechtsanwälten eines bestimmten Staates an der Ausarbeitung eines Vertrages gelten (BGH NJW-RR 00, 1002, 1004 [BGH 19.01.2000 - VIII ZR 275/98]).
dd) Bezugnahme auf ein Recht, Vorverträge.
Rn 15
Wird die Interpretation eines Vertrages einem bestimmten Recht unterstellt (›construction clause‹), wird dies als a...