Prof. Dr. Eckart Brödermann
I. Kreis des wählbaren Rechts.
Rn 4
Art 3 II ROM I sah ausdrücklich die Möglichkeit einer Wahl auf internationaler oder Gemeinschaftsebene anerkannter Grundsätze und Regeln des materiellen Vertragsrechts (›the principles and rules of the substantive law of contract recognised internationally or in the Community‹, ›des principes et règles de droit matériel des contrats, reconnus au niveau international ou communautaire‹) und damit auch die Wahl bestimmten nichtstaatlichen Rechts vor (s.a. nunmehr Art 3 der Hague Principles on the Choice of Law in International Contracts). Dies fand jedoch keine Übernahme in Art 3. Zwar steht der Wortlaut des Art 3 einer Wahl nichtstaatlichen Rechts nicht entgegen; auch soll nach Erw 13 ROM I die Parteien nicht daran hindern, in ihrem Vertrag auf ein nichtstaatliches Regelwerk oder ein internationales Üb Bezug zu nehmen. Jedoch ist bei der Wahl nichtstaatlichen Rechts wie zB der UNIDROIT-Prinzipien für internationale Handelsverträge (s MAHIntWirtR/Brödermann § 6 Rz 376–384; Zimmermann ZEuP 05, 264; Bonell 190; Berger in FS Wegen [15], 377) Vorsicht geboten. Die Gesetzgebungsgeschichte darf nicht außer Acht gelassen werden und wird von einigen Stimmen sogar definitiv als Ausschlussgrund herangezogen (Magnus IPRax 10, 27, 33 mwN; deutlich aA McGuire SchiedsVZ 11, 257, 267); vgl im Zusammenhang mit Schiedsverfahren aber oben Art 1 Rn 21. Zu berücksichtigen ist zudem die begriffliche Differenzierung zwischen ›Bezug nehmen‹ (›incorporating by reference‹, ›d'intégrer par référence‹) und Rechtswahl (›choice of law‹, ›choix de la loi‹). Ob das Unionsgrundrecht der Privatautonomie ein anderes Ergebnis, nämlich die freie Wahl nichtstaatlichen Rechts auch auf der Grundlage von Art 3, erzwingt, ist fraglich (dafür Hellgardt RabelsZ (18), 654, 665 ff). Zulässig ist jedoch eine materiell-rechtliche Einbeziehung nichtstaatlichen Rechts im Wege der Inkorporation (Brödermann IWRZ 18, 246, 248; MAH IntWirtR/Brödermann, § 6 Rz 269; Wegen/Asbrand RIW 16, 557, 558; Leible/Lehmann RIW 08, 528, 533; Kühn in Spickhoff (Hrsg), Symposium Parteiautonomie im Europäischen Internationalen Privatrecht (14), 9, 15; eingehend Rauscher/von Hein, Art 3 Rz 49 ff), etwa als Anlage zum Vertrag, als Ersatz für AGB oder als ›Rechtswahlklausel‹, die um ein staatliches Recht als ›Ergänzungsstatut‹ vervollständigt wird (Bsp: ›Dieser Vertrag unterliegt den UNIDROIT-Principles (s www.unidroit.org), ergänzt um das materielle chinesische Recht‹; zu den UNIDROIT-Musterklauseln Berger in FS Wegen [15], 377). Durch eine solche Vorgehensweise lassen sich die Auswirkungen der Wahl einer ausländischen Rechtsordnung zumindest im Hinblick auf deren dispositives Recht kontrolliert gestalten, aber auch §§ 133, 157 BGB erfordern ggf die Berücksichtigung gewählten nichtstaatlichen Rechts in den Grenzen zwingenden Rechts (s MAHIntWirtR/Brödermann § 6 Rz 20). Anhaltspunkte für den Kreis des materiell-rechtlich einbeziehbaren nichtstaatlichen Rechts bietet die Begründung der Kommission zu Art 3 II ROM I: Dort wurden beispielhaft die UNIDROIT-Principles, die Principles of European Contract Law sowie insb ein etwaiges künftiges fakultatives EU-Instrument genannt (s den DCFR von 2008); die Wahl der lex mercatoria wurde hingegen als nicht hinreichend präzise ausgeschlossen. In der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit ist die Entscheidung am Maßstab der lex mercatoria möglich, da auch Entscheidungen am Maßstab der Billigkeit zulässig sind, soweit ausdrücklich vereinbart oder dies nach der anwendbaren Schiedsgerichtordnung zulässig ist (Soergel/v Hoffmann Art 27 Rz 17; AnwK/Leible Art 27 Rz 32; vgl dazu vor allem § 1051 ZPO; s dazu Art 1 Rn 21 sowie ausf McGuire SchiedsVZ 11, 257 und Mankowski RIW 18, 1). Die Wahl von ›Cyber Law‹ ist nicht möglich (vgl Pfeiffer JuS 04, 282). S insg Brödermann, UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts (2. Aufl 23) mit Musterklausel für die Rechtswahl (Introduction Rz 9d).
Rn 5
Für ein etwaiges Gemeinsames Europäisches Kaufrecht enthält Erw 14 den gesonderten Hinweis, dass – wenn die Gemeinschaft in einem geeigneten Rechtsakt Regeln des materiellen Vertragsrechts, einschließlich vertragsrechtlicher Standardbestimmungen, festlegt – in einem solchen Rechtsakt selbst vorgesehen werden kann, dass die Parteien entscheiden können, diese Regeln anzuwenden. Aufgrund der Rücknahme des Kommissionsentwurfs am 16.12.14 haben sich Probleme rund um das GEKR vorerst erledigt.
Rn 6
Sollte die Entscheidung der Gemeinschaft eines Tages zugunsten der Schaffung eines Common Frame of Reference (DCFR; s Vor ROM I Rn 14 unter (5)) und nachfolgend eines optionalen Instruments zum EU-Vertragsrecht führen, so muss dieses als materielles Einheitsrecht zwangsläufig Vorrang vor ROM I haben oder über Art 23 als lex specialis gestaltet werden, um Wirkungskraft entfalten zu können.
Rn 7
Art 3 enthält keine Regelung zu der Frage, ob die Parteien auch IPR oder nur Sachrecht wählen können. Art 20 sieht als Grundsatz die Sachnormverweisung vor, schließt jedoch d...