Prof. Dr. Eckart Brödermann
I. Anwendungsbereich und allgemeine Regeln.
Rn 3
Das einheitliche Vertragsstatut regelt gem Art 10 I auch das Zustandekommen und die materielle Wirksamkeit des Vertrages, soweit nicht unionsrechtliche Regelungen oder staatsvertraglich geregelte Vereinheitlichung im Vertragsrecht greifen: insb Art 14–24 CISG, dazu Staud/Hausmann Art 10 Rz 7 f. Das einheitliche Vertragsstatut findet grds auf die Einbeziehung von AGB Anwendung (Grüneberg/Thorn Art 10 Rz 3; BGHZ 123, 380; Hambg BeckRS 14, 06734; für Rechtswahlklausel in AGB: Hamm NJOZ 15, 1369, 1371; LG Hamburg NJOZ 15, 535, 536; München IPRax 91, 46, 48 [OLG München 28.09.1989 - 24 U 391/87]), es sei denn, dass sich aus Art 14 CISG oder den Regelungen zur Anwendung von zwingendem Recht (zB Art 6, 8 oder Art 46b EGBGB; s ferner Rn 7) etwas anderes ergibt. Bei widersprechenden Rechtswahlklauseln in AGB bietet es sich an, zunächst ohne Rücksicht auf die beiden Rechtswahlklauseln das hypothetische Vertragsstatut nach I zu ermitteln und ggf – bei Anwendung des CISG über von Art. 1 I lit b – anschließend nach dem autonomen Maßstab des CISG zu ermitteln, ob die AGB (und damit die Rechtswahlklausel und ggf eine CISG-Ausschlussklausel) wirksam in den Vertrag einbezogen wurde (iE str, s Beck-Online Großkommentar/Weller Art 10 Rom I-VO Rz 62). Das einheitliche Vertragsstatut gilt weiter für Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben (MüKoIPR/Spellenberg Art 10 Rz 60 ff mwN; Grüneberg/Thorn Art 10 Rz 5; s.a. Rn 7 und II) und für die Frage, ob moderne Erscheinungsformen Künstlicher Intelligenz wie Chatbots zu Vertragsabschlüssen führen.
Rn 4
Das einheitliche Vertragsstatut gilt nicht im Anwendungsbereich von Art 4 lit a CISG für Fragen der materiellen Gültigkeit des Vertrages oder einzelner Vertragsbestimmungen (einschließlich Inhaltskontrolle von AGB, s Rn 7). Ferner wird es verdrängt durch zwingendes Recht (zB iSv Art 3 IV) und internationale Eingriffsnormen (Art 9).
Rn 5
Art 10 spricht eine Sachnormverweisung aus (vgl Art 20). Die Anwendung des von Art 10 berufenen Rechts unterliegt der ordre-public-Kontrolle nach Art 21.
II. Einzelfragen.
Rn 6
Das Zustandekommen betrifft den äußeren Vertragsabschlusstatbestand, nämlich das zum Vertragsschluss führende Handeln der Parteien (arg ›Verhalten‹ in II; MüKoIPR/Spellenberg Art 10 Rz 46), während die Wirksamkeit den inneren Vertragsabschlusstatbestand meint, also alle Fragen des gültigen Vertragsschlusses, die nicht dem Zustandekommen oder der Formgültigkeit zuzurechnen sind (MüKo aaO).
1. Zustandekommen des Vertrages.
Rn 7
Zum Zustandekommen des Vertrages gehören alle Fragen von Angebot und Annahme: Zugang des Angebotes (vgl auch BGH NJW-RR 11, 1184 [BGH 21.06.2011 - II ZB 15/10]); Auslegung des Angebotes (zur Auslegung als Angebot oder Vertrag: Frankf NJW-RR 89, 1018); Annahme des Angebotes (Köln NJW-RR 97, 182, 183); Abgabe einer Willenserklärung im eigenen Namen oder als Stellvertreter (Köln NJW-RR 21, 1109 [OLG Köln 22.03.2021 - 16 U 165/20]); auch verspätete Annahme oder Annahme unter Abänderungen, widerspruchslose Entgegennahme eines Bestätigungsschreibens (BGHZ 135, 124, 137; zu Besonderheiten des internationalen Vertragsschlusses per Internet Mankowski RabelsZ (99), 203 und zur zwingenden Anwendung von § 312j III BGB auf mit deutschen Verbrauchern per Internet zu schließenden Verträgen Hoffmann IPRax 15, 193); auch die Frage der consideration als Gegenleistung als Teil des Zustandekommens des Vertrages (so AnwK/Leible Art 31 EGBGB Rz 12; MüKoIPR/Spellenberg Art 10 Rz 51; Staud/Hausmann Art 10 Rz 20; aA Staud/Firsching Art 11 EGBGB Rz 85; Soergel/Kegel Art 11 EGBGB Rz 29; AnwK/Leible Art 31 EGBGB Rz 13). Schweigen (Schlesw IPRspr 89, Nr 48, 103) und auch Wertung des Schweigens sind Teil des Zustandekommens des Vertrages (BGHZ 135, 124, 137; KG Berlin WM 06, 1218). Die Einbeziehung von AGB wird dem Zustandekommen des Vertrages zugeordnet (BGHZ 135, 124, 137; NK-BGB, Bd. 6, Hüßtege/Mansel/Leible Art 10 Rz 14 mwN), während die Inhaltskontrolle zur Wirksamkeit des Vertrages gehört (dazu Erman/Stürner Art 10 Rz 8). Über das ›ob‹ und ›wie‹ der Einbeziehung von AGB entscheidet das Vertragsstatut (vgl BGHZ 123, 380), bei Anwendung des CISG der Maßstab des CISG (BGH NJW 02, 370. 371 f.; MAHIntWirtR/Piltz § 18 Rz 109). Die Inhaltskontrolle erfolgt ebenfalls nach dem Vertragsstatut (Staud/Hausmann Art 10 Rz 94 mwN). Fragen der Einbeziehung fremdsprachlicher AGB und des Verständnisses von AGB gehören zum Zustandekommen (dazu MüKoIPR/Spellenberg Art 10 Rz 179 ff). Auf das Zustandekommen von Schiedsvereinbarungen ist Art 10 nicht anwendbar, s dazu Art 1 Rn 21.
2. Wirksamkeit des Vertrages.
Rn 8
Zur materiellen Wirksamkeit des Vertrages gehören die Willensmängel, insb Irrtum, arglistige Täuschung und Drohung, Mentalreservation, mangelnde Ernstlichkeit, Scheingeschäfte, ebenso wie offener oder versteckter Dissens, Widerrufsrechte nach Verbraucherschutzgesetzen (BGHZ 135, 124, 138; aA Aachen NJW-RR 91, 885, 886; LG Gießen NJW 95, 406; dazu Soergel/v Hoffmann Art 31 Rz 18 ff). Die Rechtsfolgen solcher Willensmängel regelt ebenfalls das Vertragsstatut (S...