Prof. Dr. Eckart Brödermann
Rn 10
II schützt den Beklagten: Das Verhalten einer Person – insb Schweigen (zum alten Recht: BTDrs 10/503/Giuliano 28) – kann in verschiedenen Rechtsordnungen unterschiedliche Wirkungen haben. Dem trägt II durch die eine Einrede begründende Sonderanknüpfung an das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des jeweils Beklagten Rechnung (vgl Ddorf RIW 97, 780; dazu MüKoIPR/Spellenberg Art 10 Rz 255). Art 10 II betrifft nur das Zustandekommen des Vertrages, nicht seine Wirksamkeit, umfasst also nur einen eingeschränkten Teilbereich des I (s NK-BGB, Bd. 6, Hüßtege/Mansel/Leible Art 10 Rz 28).
I. Anwendungsvoraussetzungen.
Rn 11
Zunächst muss (1) das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts ein anderes Recht als das nach Art 3 ff bestimmte Vertragsstatut sein, nach dem (2) der streitige Vertrag grds wirksam abgeschlossen wurde, und es darf zudem (3) nicht gerechtfertigt sein, eine durch ein fremdes Vertragsstatut bereits gebundene Partei am Vertragsschluss festzuhalten (vgl Köln NJW-RR 97, 182, 183), wenn das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt dieser Partei das Zustandekommen des Vertrages verneint (so auch Grüneberg/Thorn Art 10 Rz 4). Allerdings ist die Anwendbarkeit des II begrenzt auf den rechtsgeschäftlichen Erklärungswert des Verhaltens einer Partei beim Zustandekommen des Vertrages (so Staud/Hausmann Art 10 Rz 45) und kann nicht einen nach dem Vertragsstatut mangelnden Vertragsschluss ersetzen (zum EVÜ: BTDrs 10/503/Giuliano 60). Besondere Bedeutung hat die Abwägung, ob das Festhalten am Vertragsstatut unzumutbar ist. Bei dieser Abwägung kann auf Wertungen des internationalen Einheitsrechts zurückgegriffen werden (Art 9 CISG; Art 25 I 3 lit b, c Brüssel Ia, früher Art 23 I 3 lit b, c EuGVO); vgl Staud/Hausmann Art 10 Rz 62 mwN); zur Frage der subjektiven Merkmale, auch Irrtum und Fahrlässigkeit und Bewertung der Umstände des Einzelfalles insgesamt MüKoIPR/Spellenberg Art 10 Rz 267 ff.
Rn 12
Nach Hambg SchiedsVZ 03, 284, 287 [OLG Hamburg 24.01.2003 - 11 Sch 06/01] ist Voraussetzung für die Anwendung von II eine Interessenabwägung, die es geboten sein lässt, der Partei ausnahmsweise das vertraute Recht zukommen zu lassen. Dabei sind Umstände der Vertragsanbahnung, evtl bestehende Geschäftsbeziehungen, Kaufmannseigenschaft, Kennen und Kennenmüssen von Handelsbräuchen zu berücksichtigen (ähnl Mayer/Heuzé Rz 726: die Anwendung des nach Art 8 I EVÜ (entspr Art 10 I) bestimmten Statuts wäre unter Berücksichtigung der Umstände nicht ›vernünftig‹). Solche Fälle werden meist bejaht bei internationalen Distanzgeschäften, deren Vertragsstatut die sich auf Art 10 II berufende Partei weder kannte noch kennen musste (Bsp Mayer/Heuzé Rz 726, 786: Deutscher Verkäufer schickt kaufmännisches Bestätigungsschreiben mit Rechtswahlklausel für deutsches Recht an schweigenden französischen Kaufmann, mit dem bisher keine laufende, nach deutschem Recht geführte Geschäftsbeziehung besteht); zum Vertragsschluss im Inland: BGH WM 70, 1050, 1051 f; zum Vertragsschluss im Drittstaat: LG Koblenz NJW-RR 95, 1335; aA LG Ddorf RIW 95, 415; zu Einzelheiten des Vertragsstatuts München NJW 73, 1560.
Rn 13
Weiter muss sich (4) die ihre Zustimmung bestreitende Partei aufgrund des Einredecharakters des II dagegen wenden, dass der Vertrag für sie gilt; ein ausdrückliches Berufen auf das Aufenthaltsrecht ist hingegen nicht erforderlich (Ddorf RIW 97, 780).
II. Einzelfälle.
Rn 14
Ein Großteil der Rechtsprechungspraxis (zu ex Art 31 EGBGB) bezieht sich auf die Bewertung des Schweigens als Erklärungstatbestand (vgl BGHZ 57, 72, 77; Staud/Hausmann Art 10 Rz 46 ff mwN); insb das Schweigen einer Partei bei Bezugnahmen auf AGB der anderen Partei und dessen Wertung als Zustimmung (BGHZ 135, 124, 137; Karlsr RIW 94, 1046). II gilt auch für sonstiges ›aktives‹ Verhalten einer Partei, wie die Bewertung von Realakten (zB konkludente Annahmeerklärung: Köln NJW-RR 97, 182, 183). Betont werden muss, dass II sich nur auf einen begrenzten Ausschnitt aus dem Regelungsbereich des I, nämlich die Frage des Zustandekommens der Einigung, bezieht. II erfasst hingegen nicht die Wirksamkeit der Einigung (BGHZ 135, 124, 137) und damit nicht das Bestehen eines Widerrufs-, Rücktritts- oder Kündigungsrechts (Staud/Hausmann Art 10 Rz 15), und auch nicht Fragen von Willensmängeln, da diese die Wirksamkeit, nicht die Zustimmung zum Vertragsschluss selbst betreffen (vgl MüKoIPR/Spellenberg Art 10 Rz 247; aA Grüneberg/Thorn Art 10 Rz 5).