Rn 9
Objektive Anknüpfungspunkte sind die Regelanknüpfungen des gewöhnlichen Arbeitsortes (Art 8 II), der einstellenden Niederlassung (Art 8 III) oder der Ausweichklausel (Art 8 IV).
I. Gewöhnlicher Arbeitsort (Art 8 II).
Rn 10
Art 8 II bringt das Recht des Staates zur Anwendung, ›in dem oder anderenfalls von dem aus‹ der ArbN in Erfüllung seines Vertrages gewöhnlich seine Arbeit verrichtet. Verrichtet der ArbN seine Arbeit nur vorübergehend in einem anderen Staat, ändert sich das Arbeitsvertragsstatut grds nicht (Art 8 II 2).
Rn 11
Das Recht des Staates, in dem der ArbN in Erfüllung seines Vertrages gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, ist der tatsächliche Mittelpunkt seiner Berufstätigkeit. Wenn sich kein Mittelpunkt ermitteln lässt, gilt der Ort, an dem er den größten Teil seiner Arbeit verrichtet (zum EVÜ EuGH NZA 11, 1309 – Koelzsch; BAG NZA 14, 1076 [BAG 19.03.2014 - 5 AZR 252/12 (B)]). Häufige Auslandsreisen oder die Beschäftigung als Außendienstmitarbeiter ändern daran nichts, sofern er immer wieder zum Mittelpunkt seiner Tätigkeit zurückkehrt (EuGH IPRax 97, 110 – Mulox; NZA 97, 225 [LAG Berlin 28.06.1996 - 6 Sa 37/96] – Rutten; BAG NZA 17, 507 [BAG 15.12.2016 - 6 AZR 430/15]; Schneider NZA 10, 1382). Die Wendung ›das Recht des Staates, von dem aus der ArbN in Erfüllung seines Vertrages gewöhnlich seine Arbeit verrichtet‹ bezieht auch Flugpersonal ein (vgl EuGH NZA 17, 1479 – Nogueira; BAG NZA 21, 255). Eine spezielle Regelung für Seeleute enthält die Verordnung nicht (Mankowski IHR 08, 145). Arbeiter auf einer Bohrinsel über dem Festlandsockel werden dem angrenzenden Staat zugerechnet (EuGH NZA 02, 459 [BAG 18.01.2001 - 2 AZR 616/99] – Weber; vgl Block EuZA 13, 20). Im Flaggenrecht gilt Art 8 nicht (§ 21 IV 1 FlaggenrechtsG, aA ErfK/Schlachter ROM I Rz 12 aE). Zu Homeoffice-Tätigkeit im EU-Ausland Reiter/Thielemann NZA-Beil 23, 59.
Rn 12
Eine vorübergehende Entsendung iSd Art 8 II liegt vor, wenn der ArbN Rückkehrwillen und der ArbG Rücknahmewillen hat (LAG Hamburg NZA-RR 22, 475 [LAG Düsseldorf 10.03.2022 - 11 Sa 346/21]). Eine zeitliche Höchstgrenze gilt nicht (Mankowski IHR 08, 145), eine vorübergehende wird zur endgültigen Entsendung, sobald der Wille der Parteien sich ändert (Deinert RdA 2009, 146). Ein entsendungsbedingter Abschluss eines zusätzlichen Arbeitsvertrages innerhalb derselben Unternehmensgruppe ändert nicht zwingend den vorübergehenden Charakter (ROM I Erw 36; EuGH IPRax 04, 336 – Pugliese; Mankowski IHR 08, 133, 146; HK-ArbR/Däubler ROM I/EGBGB Rz 36). Nicht (mehr) vorübergehend ist die Entsendung bei endgültigem Übertritt ins Ausland (Ferrari/Staudinger Art 8 ROM I Rz 22) oder Einstellung des ArbN ausschließlich für die Auslandstätigkeit (Mankowski IHR 08, 145; HK-ArbR/Däubler ROM I/EGBGB Rz 37), auch, wenn es zu einem nur vorübergehenden Einsatz des ArbN im Heimatbetrieb kommt.
II. Sitz der Niederlassung (Art 8 III).
Rn 13
›Einstellende Niederlassung‹ ist ausschließlich die Niederlassung, die den ArbV mit dem ArbN geschlossen hat (zum EVÜ EuGH NZA 12, 227 – Voogsgeerd). Die Anknüpfung iSv III ist subsidiär ggü II (EuGH NZA 12, 227 [EuGH 15.12.2011 - Rs. C-384/10] – Voogsgeerd; 11, 1309 – Koelzsch). Die Anknüpfung an die einstellende Niederlassung wird zum Arbeitnehmerschutz eher eng, die Anknüpfung an den gewöhnlichen Arbeitsort eher weit ausgelegt (EuGH IPRax 97, 110; NZA 13, 1163; Junker RIW 06, 406).
III. Ausweichklausel (Art 8 IV).
Rn 14
IV geht II und III vor und entspricht ex Art 30 II aE EGBGB. Umstände für eine engere Verbindung zu einem anderen Staat können sein: Erfüllungsort, Staatsangehörigkeit der Parteien, Sitz des ArbG, Vertragssprache, Währung des Arbeitsentgeltes, Ort des Vertragsschlusses, Arbeitsort, Wohnsitz der Parteien, Registrierung von Schiff oder Flugzeug (BAG NZA 16, 473, 475 [BAG 22.10.2015 - 2 AZR 720/14]), die Leistung von Steuern und Abgaben und der Anschluss an die Sozialversicherung und Rentenregelungen (EuGH NZA 13, 1163 zur Vorgängerregelung). Die Auslegung ist restriktiv (Lüttringhaus EuZW 13, 821), Umstände für eine engere Verbindung zu einem anderen Staat müssen ggü den Regelanknüpfungen deutlich überwiegen (BAG RIW 17, 826; vgl auch EuGH EuZW 09, 822 – ICF).