Prof. Dr. Eckart Brödermann
1. Ausdrückliche Rechtswahl.
Rn 8
Die ausdrückliche Rechtswahl kann in einer individuell formulierten Vertragsklausel, in einem Formular bzw in AGB (EuGH C-152/20 – SC Gruber Logistics SRL ECLI:EU:C:2021:600 Rz 40; BGH RIW 22, 705, 708: Frankf BeckRS 18, 32208 [Revision anhängig BGH, X ZR 3/19]; LG Hamburg NJOZ 15, 535, 536; implizit auch bereits EuGH C-191/15 – Amazon ECLI:EU:C:2016:612) enthalten sein und positiv oder negativ formuliert sein (AnwK/Leible Art 27 Rz 44); im Anwendungsbereich des CISG ist (selbst wenn das CISG mit den AGB ausgeschlossen werden soll) zunächst an dem strengeren Maßstab des CISG (Art 14–24 CISG) zu prüfen, ob die AGB wirksam einbezogen wurden (MAHIntWirtR/Piltz § 7 Rz 67). Die Rechtswahl kann auch mündlich erfolgen. Die Verweisung auf einen anderen Vertrag mit einer Rechtswahl ist ebenfalls zulässig (Soergel/v Hoffmann Art 27 Rz 46). Wird das anwendbare Recht nicht eindeutig bezeichnet, so ist die Rechtswahlvereinbarung auslegungsbedürftig. Die Auslegung sollte jedenfalls nicht der lex fori überlassen bleiben (so aber MüKoIPR/Martiny Art 3 Rz 45), sondern – je nach Fallgestaltung – unter Berücksichtigung der von den Parteien angenommenen Bewertungsmaßstäbe (Grüneberg/Thorn Art 3 Rz 6), nach der lex causae bzw dem nach Art 10 bestimmten Recht oder anhand einheitlicher Auslegungsmaßstäbe erfolgen (so auch AnwK/Leible Art 27 Rz 10). Bei kollidierender Rechtswahl in AGB (Battle of Forms) liegt keine ›eindeutige‹ Rechtswahl iSv I 2 vor (Kronke/Melis/Kuhn/Weller Teil H Rz 164).
2. Stillschweigende Rechtswahl.
a) Grundlagen.
Rn 9
Die stillschweigende Rechtswahl, die I 2 zulässt (anders zB Art 3 chinesisches IPR), muss sich eindeutig (›clearly‹, ›clairement‹) aus den Bestimmungen des Vertrags oder aus den Umständen des Falles ergeben (Briggs, Priv Int'l Law in English Courts Rz 7.21; Mayer/Heuzé Rz 762); ist unionsautonom zu ermitteln (vgl BGH ErbR 21, 516, 519 [BGH 24.02.2021 - IV ZB 33/20] zu Art 22 EuErbVO). Das EVÜ ließ in der deutschen Sprachfassung eine ›hinreichende Sicherheit‹ ausreichen; so auch die englische Fassung (›reasonable certainty‹). Strenger war bereits die französische Sprachfassung des EVÜ, nach der eine ›façon certaine‹ erforderlich war. Die Änderungen zu I 2 sollen nach der Begründung der Kommission zu Art 3 ROM I die Gerichte veranlassen, statt eines rein hypothetischen Willens den tatsächlichen, wenn auch nicht ausdrücklich bekundeten Willen zu ermitteln: Die Änderungen stellen zum einen auf das Verhalten der Parteien ab und zum anderen auf die Bedeutung der Rechtswahl, um auf diese Weise die Entscheidung der Gerichte berechenbarer zu machen. Dem ›Heimwärtsstreben‹ einiger Gerichte soll damit ein Riegel vorgeschoben werden (Leible/Lehmann RIW 08, 528, 532). Lässt sich der tatsächliche Wille der Parteien nicht ermitteln, so wird objektiv angeknüpft nach Art 4. Der Inhalt des Vertrages, die einzelnen Klauseln und die Umstände des Abschlusses sind hierbei zu berücksichtigen; es kann auch auf die tatsächliche Vertragsdurchführung abgestellt werden, weil diese Hinweise auf das Vertragsverständnis der Parteien geben kann (so LAG Rheinland-Pfalz 2.3.12 – 9 Sa 633/11). Art 3 I 2 hat darauf verzichtet, einzelne Faktoren für die stillschweigende Rechtswahl zu nennen (Rauscher/v Hein Art 3 Rz 17 ff); das Unionsrecht enthält keinen Katalog solcher Anhaltspunkte (vgl BGH NJW-RR 97, 686; 99, 813; NJW 01, 1936; BGHZ 53, 189). Der reale Parteiwille ist als Tatsachenfrage auf den Zeitpunkt der Einigung zu ermitteln und ist (wenn das gewählte Vertragsstatut fehlerfrei ermittelt ist) für die Revision bindend (BGH NJW-RR 97, 686 [BGH 28.01.1997 - XI ZR 42/96]; 00, 1002 [BGH 19.01.2000 - VIII ZR 275/98]).
Rn 10
In Art 3 I 3 ROM I war eine gesetzliche Vermutung für den Fall des Vorliegens einer Gerichtsstandsklausel vorgesehen. Die Tatsache, dass dies keinen Eingang in den endgültigen Art 3 gefunden hat, lässt indes keinen Rückschluss zu: Erw 12 hebt ausdrücklich hervor, dass eine Vereinbarung zwischen den Parteien, dass ausschließlich ein Gericht oder mehrere Gerichte eines Mitgliedstaats für Streitigkeiten aus einem Vertrag zuständig sein sollen, bei der Feststellung, ob eine Rechtswahl eindeutig getroffen wurde, zu berücksichtigen ist. Obwohl Erw 12 sich nur auf die Gerichte der Mitgliedstaaten bezieht, schließt dies nicht aus, Gerichtsstandsvereinbarungen zugunsten eines oder mehrerer Gerichte eines Drittstaates genauso zu behandeln (Leible/Lehmann RIW 08, 528, 533). Vorsicht ist jedoch geboten: Indizwirkung kann nur einer ausschließlichen, nicht hingegen auch einer fakultativen oder optionalen Gerichtsstandsvereinbarung zukommen (Mankowski IHR 08, 133, 135 sowie IPRax 15, 309, 310).
b) Einzelfälle.
Rn 11
Ob eine stillschweigende Rechtswahl des Vertragsstatuts vorliegt, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu entscheiden (vgl BGH NJW 92, 618 [BGH 08.10.1991 - XI ZR 64/90]; NJW-RR 97, 686 [BGH 28.01.1997 - XI ZR 42/96]; 99, 813; NJW 01, 1936; eingehend Staud/Magnus Art 3 Rz 74–103). Nach I 2 reicht es aus, wenn sich die Rechtswahl mit hinreichender Sic...