Prof. Dr. Eckart Brödermann
1. Ausgangspunkt: Geltung des einheitlichen Vertragsstatuts (Synopse).
Rn 13
Das Vertragsstatut bestimmt über die durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen: Hauptpflichten, Nebenpflichten, Obliegenheiten. Es regelt, wer, was, wann, wie viel und wo leisten muss (MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 184; Staud/Magnus Art 12 Rz 33 ff: Gesamtheit der vertraglichen Pflichten; Soergel/v Hoffmann Art 32 EGBGB Rz 14: Rechte und Pflichten aus dem Schuldverhältnis). Dies schließt insb folgende Themenkomplexe ein (Synopse in Rz 14–25 nach MüKoIPR/Spellenberg Art 12; alte Rspr aus der Zeit vor 86 wird zitiert, soweit sie auch bei der Anwendung des unionsrechtlichen IPR hilfreich sein kann):
Rn 14
(1) Einordnung des Vertragstyps, zB Kauf oder Kommission (MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 48; BGH WM 69, 1140; s.a. WM 77, 793, 794), ggf damit einhergehende Abgrenzung zwischen Kaufmann und Verbraucher (MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 61 mwN) sowie daraus abgeleitete – s §§ 346, 359 HGB – Geltung von Handelsbräuchen; das Vertragsstatut kann dabei anders qualifizieren als die ROM I (zB Werkvertrag statt Dienstvertrag, s Art 4 Rn 8, Rn 11); bei Eintragung in ein ausländisches Handelsregister entscheidet das Vertragsstatut, ob eine Eintragung im Ausland funktional äquivalent ist (Substitution);
Rn 15
(2) Einbeziehung Dritter (Mankowski IPRax 96, 428 f; MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 62 ff; vgl auch § 311 III; zur Abgrenzung ggü der Stellvertretung s Staudinger/Scharnetzki DAR 21, 191, 192), Geltendmachung von Rechten Dritter (MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 62 f: implizit Frankf WM 72, 1474, 1475) und Möglichkeiten der Drittschadensliquidation (MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 63: in Abgrenzung zur Abtretung und Schuldübernahme nach Art 14 (ex Art 33 EGBGB), s Art 14) sowie Fragen der Erfüllung durch Dritte (EuGH C-73/20 – Oeltrans Befrachtungsgesellschaft ECLI:EU:C:2021:315), einschließlich der Haftung für Erfüllungsgehilfen (MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 83).
Rn 16
(3) Anwendbarkeit und Reichweite von nationalen oder national unterschiedlich ausgestalteten Rechtskonzepten: zB (a) dem Abstraktionsprinzip in Deutschland oder dem Konsensprinzip in romanischen Staaten, das zB selbst mündliche Grundstückskaufverträge zulässt (arg Art 1582 frz C civ; Cass civ JCP 1992 II 21808); (b) dem (unterschiedlich ausgestalteten) Prinzip von Treu und Glauben in kontinentaleuropäischen Staaten (Staud/Magnus Art 12 Rz 40; MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 53), das angelsächsischen Staaten fremd ist (s den Hinweis aaO Fn 49 auf die deutsche Flucht aus dem Delikt in den Vertrag, wo andere Staaten mit dem – dort weniger eng ausgestaltetem – Deliktsrecht arbeiten); (c) der Ausgestaltung der Inhaltskontrolle von AGB (s § 307 BGB), oder (d) dem Wegfall der Geschäftsgrundlage (MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 84; frz: ›theorie de l'imprévision‹, seit 1.10.17 in Art 1195 frz. Code civil).
Rn 17
(4) Wirksamkeit von deklaratorischen Schuldversprechen, sofern nicht – arg Art 3 I 2 – ausdrücklich ein anderes Recht gewählt ist (Hamm RIW 99, 785, 786; Ddorf VersR 03, 1324, 1325; s.a. LG Hamburg NJW-RR 95, 183, 184; – in Abgrenzung zum abstrakten Schuldversprechen);
Rn 18
(5) Zulässigkeit und Tilgungswirkung von Teilleistungen (BTDrs 10/503/Giuliano 65; MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 77; Staud/Magnus Art 12 Rz 39), insb auf verzinste Forderungen; MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 49 sowie (6) die Verzinsung (aaO, s aber oben Rn 3);
Rn 19
(7) die Frage, ob die Erfüllung die Geschäftsfähigkeit des Gläubigers voraussetzt: in Abgrenzung zu dem ggf nach Art 7 zu bestimmenden Geschäftsstatut und dem Gutglaubensschutz nach Art 12);
Rn 20
(8) Einzelheiten der Vertragspflichten: Wahlrecht (s BTDrs 10/503/Giuliano 65 zum EVÜ); Zahlung und die den Wert der Leistung bestimmende geschuldete Währung (zB MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 77; Staud/Magnus Art 12 Rz 109; Soergel/v Hoffmann Art 32 EGBGB Rz 17; Mayer/Heuzé Rz 793): im Gegensatz zur Zahlungswährung, s.u. Rn 28; die Qualifikation virtueller Währungen und Zahlungstechniken wie Bitcoin und Distributed Ledger Technology [DLT] (s dazu generell Martiny IPRax 18, 553 ff; Zimmermann IPRax 18, 566 ff). (9) Nebenpflichten: Auskunft (MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 58; BGH WM 64, 83, 84 über Bereicherungsanspruch), Rechnungslegung, Quittung (BTDrs/Giuliano 65; Soergel/v Hoffmann Art 32 EGBGB Rz 24), Schutzpflichten, Einweisung, Gebrauchsanweisung, Mitwirkungspflichten (MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 58 mwN); ob Rügepflichten bestehen (v Bar/Mankowski IPR II Rz 835, 840; MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 190); (10) Haftungsbeschränkungsvereinbarungen (Staud/Magnus Art 12 Rz 55; MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 56) und Vertragsstrafeversprechen (Staud/Magnus Art 12 Rz 53; MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 56);
Rn 21
(11) Abänderung von Vertragspflichten (MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 180), Novation (MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 181) und Vergleich (MüKoIPR/Spellenberg Art 12 ROM I Rz 182), soweit jeweils nichts anderes vereinbart wird, arg Art 3 II 1, 3 (MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 180 ff; BGH NJW-RR 00, 1002, 1004 [BGH 19.01.2000 - VIII ZR 275/...