Prof. Dr. Juliana Mörsdorf
1. Platzgeschäfte (Abs 1).
Rn 7
Die Formerfordernisse für Platzgeschäfte knüpft I alternativ an das Geschäftsrecht und an das am Abschlussort (dazu s Art 11 EGBGB Rn 12 – Vornahmeort) geltende Recht an. Dass es sich auch bei der Verweisung auf das Ortsrecht um eine Sachnormverweisung handelt, lässt sich der eindeutig sachrechtsbezogenen Formulierung ›Formerfordernisse‹ entnehmen.
2. Distanzgeschäfte (Abs 2).
Rn 8
Für Distanzgeschäfte wird die Auswahl der alternativen Anknüpfungspunkte ggü Art 11 EGBGB noch vermehrt, indem neben dem Geschäftsrecht und dem schlichten Aufenthalt auch der gewöhnliche Aufenthalt einer der Vertragsparteien gilt. Den gewöhnlichen Aufenthalt definiert die ROM I in Art 19. Als Anknüpfungszeitpunkt ist jeweils ausdrücklich der Vertragsschluss festgelegt. Insoweit kommen bis zu fünf Rechte in Betracht (vgl Leible/Lehmann RIW 08, 540), wobei es sich wiederum um Sachnormverweisungen handelt (›Formerfordernisse‹).
3. Vertretergeschäfte.
Rn 9
Über diese (bei einem zweiseitigen Vertrag) fünf denkbaren Rechte hinaus würde sich die Auswahl noch bis auf sieben Rechtsordnungen erweitern, wenn das Distanzgeschäft mit Vertretern abgeschlossen wird, da II diese neben den Vertretenen als gleichberechtigte Anknüpfungspersonen nennt. Mit Blick auf das bisherige nationale Verständnis des Art 11 EGBGB wird vorgeschlagen, auf beiden oder jedenfalls der Erklärendenseite allein auf den Vertreter abzustellen (Ferrari/Schulze Rz 25; Rauscher/von Hein, EuZPR/EuIPR Bd. IV, Rz 20 f; aA Callies/Loacker Rz 65). Gegen eine solche Reduktion spricht der klare Gesetzeswortlaut – ›oder‹ statt ›bzw‹ (HK/Staudinger Rz 3), wobei auch die fremdsprachlichen Fassungen eine Einschränkung nicht erkennen lassen – sowie die ratio einer Verstärkung des Günstigkeitsprinzips (vgl KOM [2005] 650 endg, S 9 zu Art 10 VO-E) Dennoch legt eine Zusammenschau von I und II zur Vermeidung von Widersprüchen bei der Abgrenzung (s.u. Rn 10) ein Verständnis iSe ›bzw‹ nahe, zumal der favor negotii bereits durch die zusätzliche Anknüpfungsmöglichkeit an den gewöhnlichen Aufenthalt der Parteien gefördert wird. Pfeiffer EuZW 08, 629 gibt zu bedenken, dass die Regelung erkennbar darauf beruhe, dass es bei der elektronischen Kommunikation oft zufällig erscheine, wo sich eine Partei gerade befindet, und plädiert für eine sachgerechte Einschränkung des Satzes ›locus regit actum‹ auf Fälle der Relevanz des Abschlussortes.
Rn 10
Mit der Vielzahl der zur Auswahl stehenden Ortsrechte erfolgt eine Privilegierung von Distanz- ggü Platzgeschäften. Als Konsequenz für die Abgrenzung von I und II müsste daraus jedenfalls folgen, dass der Begriff des Distanzgeschäfts großzügig zu handhaben wäre und II schon dann anwendbar wäre, wenn eine der Anknüpfungspersonen sich nicht am Abschlussort befindet; ein Platzgeschäft (I) also nur vorläge, wenn sich Vertreter und Vertretene sämtlich in demselben Staat befinden (HK/Staudinger Rz 3; aA Rauscher/von Hein Rz 20; Ferrari/Schulze Rz 25). Das widerspricht aber dem Wortlaut des I, wonach es sich schon dann um ein Platzgeschäft handelt, wenn die Vertragsparteien ›oder‹ – nicht ›und‹ – deren Vertreter sich in demselben Staat befinden. Eine Perplexität des Art 11 I, II lässt sich nur vermeiden, wenn man die jeweilige alternative Erwähnung des Vertreters iSe ›bzw‹ versteht und in der Wahl des Wortes ›oder‹ eine redaktionelle Ungenauigkeit sieht. Abzustellen wäre insoweit nicht auf sämtliche Parteien und Vertreter, sondern ausschl auf die jeweils rechtsgeschäftlich handelnden Personen.
4. Verbrauchergeschäfte (Abs 4).
Rn 11
Für die Form von Verbraucherverträgen iSd Art 6 gilt nach IV unabdingbar und ohne Günstigkeitsvergleich (ganz hM, krit Staud/Magnus Art 29 EGBGB Rz 116) das Recht des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Art 11 IV übernimmt damit die Regelung des früheren Art 29 III EGBGB. Dies gilt auch für die Form der den Verbrauchervertrag betreffenden Rechtswahlvereinbarung (Art 3 V).
5. Grundstücksgeschäfte (Abs 5).
Rn 12
Für die Form von Schuldverträgen, die Grundstücke betreffen, tritt, wie nach Art 11 IV EGBGB zu der Alternative Ortsstatut oder Geschäftsstatut kumulativ eine Anknüpfung an den Belegenheitsort hinzu (bzgl Ortsform BGH NJW 20, 1674 [BGH 19.02.2020 - XII ZB 358/19] Rz 35; Einsele LMK 20, 430295 aE). Dabei sind nur diejenigen Normen des Belegenheitsortes berufen, die die in Buchst a und b genannten Charakteristika aufweisen. Diese ähneln denjenigen der Eingriffsnormen, doch verzichtet die VO im Gegensatz zu einem früheren Entwurf (krit zu diesem Mankowski IPRax 06, 110) auf eine Bezugnahme auf Art 9. Denn Formvorschriften fehlt regelmäßig das primär öffentliche Interesse, da sie mit Warnfunktion und Übereilungsschutz einen Ausgleich zwischen den Vertragsparteien bezwecken. Obwohl V eine Abweichung von den I bis IV formuliert, verdrängen die betr Vorschriften des Belegenheitsrechts nicht die danach berufenen Formvorschriften, sondern sind zusätzlich zu beachten.