Rn 12
Auch Art 6 schützt wie seine Vorläufer grds an sich nur den passiven, nicht den aktiven Verbraucher, doch droht die Rspr des EuGH zu Art 17 (ex 15) EuGVVO dies zu verwässern, wenn wirklich keine Kausalität des Ausrichtens für den Vertragsschluss mehr gefordert wird (Rn 17; vgl Bisping ERPL 14, 513). Die objektiven Voraussetzungen sind in I lit a) und b) neu und alternativ gefasst. Liegen sie nicht vor, so greift Art 6 nicht. Ein Verbraucher, der im Ausland Waren einkauft, kann nicht erwarten, dass ihm das Heimatrecht ins Ausland folgt und ihn dort schützt (Denkschrift BTDrs 10/503/26; Ddorf MDR 00, 575). Art 6 I führt zur Geltung des Rechts des gewöhnlichen Aufenthalts des Verbrauchers und zwar dasjenige zur Zeit des Vertragsschlusses (HK/Staudinger Rz 8).
Rn 13
Lit a) nennt den Fall der Identität von Verbraucheraufenthaltsstaat und Staat der Ausübung der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit des Unternehmers. Ausüben der Tätigkeit bedeutet wohl Entfalten der unternehmerischen Aktivität und wird idR irgendeine Form von Niederlassung oder dergleichen mit sich bringen (Garcimartín Alférez EuLF 08, I-61, I-73 Nr 59; vgl a LG Wuppertal MMR 21, 440 [LG Wuppertal 29.07.2020 - 3 O 195/19]). Auch ein Vertragsschluss auf einer Messe wird den Tatbestand erfüllen (Grüneberg/Thorn Art 6 Rz 7, CA Colmar, 14/02375, bei Ancel in Guinchard 210 Fn. 94).
Rn 14
Lit b) betrifft das Ausrichten der Tätigkeit auf den Verbraucheraufenthaltsstaat oder mehrere Staaten einschl dessen. Er folgt Art 17 (ex 15) I lit c) EuGVVO (dazu Kropholler/von Hein Art 15 Rz 23 ff mwN) und ist in Übereinstimmung mit diesem auszulegen (Erwägungsgrund 24, Pelegrini Rev Lamy dr des aff 08, 71, 75; Th. Pfeiffer EuZW 08, 622, 627; vgl Lurger in: Leible, Bedeutung ebd. 43). Die meisten bisher von Art 5 II EVÜ bzw Art 29 EGBGB erfassten Situationen sollen hierunter fallen (Lopez-Tarruella Martinez Rev eur dr cons 2007–2008, 345, 354). Werbung im Verbraucherstaat (evtl mit dortiger Willenserklärung des Verbrauchers) reicht gewiss. Zum Ausrichten findet man in der Literatur die Beschreibung als aktive Beteiligung am Wirtschaftsverkehr durch Angebot und Abwicklung von Leistungen (Mankowski IHR 08, 142). Dies kann auf alle möglichen Weisen geschehen (Lopez-Tarruella Martinez ebda 354), selbstverständlich nicht nur elektronisch (vgl Mankowski in: Cashin Ritaine/Bonomi, Le nouveau règlement, 08, 134 f; Bsp dazu in BeckOGK/Rühl Art 6 Rz 188). Das zurechenbare Handeln Dritter als Vermittler reicht aus (OGH – 4 Ob 164/20a m Anm Ofner in ZfRV 21, 130, 131; s.a. Grüneberg/Thorn Art 6 Rz 6 aE; HP/Spickhoff Art 6 Rz 29).
Rn 15
Zu den seit langem viel behandelten Internetfällen (Mankowski RabelsZ 99, 203, 231 ff; Pfeiffer in: Gounalakis, Rechtshandbuch Electronic Business, 03, § 12 Rz 71 ff; Calliess/Renner/Calliess Art 6 Rz 50 ff; Dietrich, Situative Anwendung [20], 101 ff) hat der EuGH zu Art 17 (damals 15) EuGVVO eine zutreffende Grundsatzentscheidung gefällt (EuGH Rs C-585/08 und 144/09, Slg 10, I-12527 – Pammer). Die bloße Zugänglichkeit der Website reicht nicht aus (Erw 69). Maßgebend ist der Ausdruck des Willens, zu Verbrauchern eines oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten, darunter dem des Verbrauchers, Geschäftsbeziehungen herzustellen (Erw 75 ff). Ob ein Vertragsschluss per E-Mail oder interaktiv möglich ist, ist unerheblich (Erw 79), eine Unterscheidung zwischen aktiven, eine Online-Bestellung ermöglichenden, und passiven Internetseiten (so früher Pfeiffer § 12 Rz 75) ist nicht maßgeblich, die technische Art der Fernbestellung allein macht keinen Unterschied (so schon Lurger in: Leible, Bedeutung ebd. 33, 41; Kropholler/von Hein Art 15 Rz 24; ähnl auch BeckOGK/Rühl Art 6 Rz 194 ff). Nach dem EuGH verlangt Art 17 (ex 15) EuGVVO nicht einmal, dass der Vertrag überhaupt im Fernabsatz geschlossen wurde (EuGH Rs C-190/11 – Mühlleitner, ECLI:EU:C:2012:542; OGH – 4 Ob 172/12s, BeckRS 16, 81216; OGH – 7 Ob 225/13h, BeckRS 16, 81221). War nach einer zur EuGVVO abgegebenen Gemeinsamen Erklärung von Kommission und Rat erforderlich, ›dass diese Website auch zum Vertragsabschluss im Fernabsatz auffordert, und dass tatsächlich ein Vertragsabschluss im Fernabsatz erfolgt ist, mit welchem Mittel auch immer‹, (2314. Tagung des Rates, 30.11./1.12.00, PRES/00/457, Anl; dazu Kropholler/von Hein Art 15 Rz 25; Rühl FS Coester-Waltjen 697, 702f), so scheint dies nun überholt; auf der Website benutzte Sprache oder Währung seien nicht von Bedeutung, es sei denn, es handelt sich um eine ›andere Sprache‹. Der EuGH behandelt in der Rs Pammer verschiedene Indizien (zT krit von Hein JZ 11, 354, 355f). Eine ›passive‹ Internetseite ohne Online-Bestellmöglichkeit kann ausreichen (Th. Pfeiffer EuZW 08, 622, 627; Grüneberg/Thorn Art 6 Rz 6; ausf Mankowski ebda 129 ff). Die Zugänglichkeit einer nur passiven Website als solche und der Umstand der Kenntnisnahme durch den Verbraucher sollen nach älterer Ansicht aber nicht ausreichen (so zur EuGVVO BGH IPRax 09, 258 m Anm Mankowski), es müssten noch...