Rn 35
Kann drittstaatlichen Eingriffsnormen nach III Wirkung verliehen werden, so bemüht sich Art 9 um Eingrenzungen, sollte aber im Kontext der bisherigen Praxis, der Interessen und des Gesamtproblems gesehen werden. Nur von den Eingriffsnormen des Staates, ›in dem die durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen erfüllt werden sollen oder erfüllt worden sind‹, spricht Art 9 III. Damit soll Unsicherheit begrenzt werden (Cheshire/North/Fawcett 740) und wird an die alte englische Rspr angeknüpft (Ralli Bros v Compania Naviera Sota y Aznar [1920] 2 KB 287 (CA); dazu Kuckein Die >Berücksichtigung’ 08; so auch Freitag IPRax 09, 110 f; Reithmann/Martiny/Zwickel Rz 5.131, 5.128; Bonomi in: Cashin Ritaine/Bonomi 232; quasi für Obsolenz durch BREXIT M-Ph Weller ZEuP 18, 892, 913). In Teilen der deutschen Lit wird hierzu auf den Erfüllungsortsgerichtsstand des Art 7 (ex 5) Nr 1 EuGVVO hingewiesen, aber dieser meist doch nicht für maßgeblich erklärt (Leible/Lehmann RIW 08, 543; Mankowski IHR 08, 148), auch wird von Unklarheit hinsichtlich des Verhältnisses faktischer und normativer Bestimmung des Erfüllungsorts gesprochen (Th. Pfeiffer EuZW 08, 622, 628; für faktischen Erfüllungsort Calliess/Renner/Renner Art 9 Rz 29). Eine Anknüpfung an die EuGVVO (so aber Ringe in: juris-pk Art 9 Rz 28–30) ist abzulehnen (so auch GA Szpunar zu Rs C-135/15 Nikiforidis, Rz 91); sie würde bei Kauf und Dienstleistung die Rechtsordnung des Liefer- bzw. Diensterbringungsortes privilegieren und ansonsten extrem kompliziert sein. Auch ein materiell-rechtlicher Ansatz (so aber Kindler 69; undeutlich Lando/Nielsen CMLRev 08, 1687, 1722) leuchtet wenig ein. Für Art 9 III kommt es auf eine tatsächliche oder potentielle Berührung des Leistungsvorganges (oder vielleicht -erfolges) an, nicht auf ein rechtstechnisches Kriterium der gerichtlichen Zuständigkeitsordnung (so im Ergebnis wohl auch Freitag IPRax 09, 111 f; Reithmann/Martiny/Zwickel Rz 5.131 ff; vgl a W.-H. Roth FS Kühne 859, 874 f; Remien FS v Hoffmann, 334, 342 ff; Köhler 222 ff; Schacherreiter ZEUP 15, 497, 510). Ob es reicht, dass ein Teil des Leistungsvorganges am Ort der Eingriffsnorm erfolgt, ist undeutlich (vgl Bonomi in: Cashin Ritaine/Bonomi 233), sollte aber bejaht werden (vgl auch Frankf NJW 18, 3591 [OLG Frankfurt am Main 25.09.2018 - 16 U 209/17] m Anm Tonner). GA Szpunar will die Worte ›nicht allzu restriktiv‹ verstehen (EuGH Rs C-135/15 – Nikiforidis – Rz 91 ff), geht aber wohl extrem weit (ebd Rz 95).
Rn 36
Wenn man Erfüllungsort erfolgsbezogen weit versteht, so kann man etwa auch den Fall der drittstaatlichen Fusionskontrolle bei Anteilsübertragung zwischen Unternehmen anderer Staaten erfassen (aA Leible/Lehmann RIW 08, 543). ME kann man auch aus Art 6 III ROM II herleiten, dass bei Kartellrechtsfragen der betroffene Markt Erfolgsort iSd Art 9 III ist, denn es wäre unlogisch, die Kartellrechtsnorm haftungsrechtlich, aber nicht vertragsrechtlich wirken zu lassen (Soergel/Remien Art 6 Rom II-VO Rz 36). Ein Ausfuhrverbot aus Gründen des Kulturgüterschutzes wird hingegen dann nicht beachtet werden, wenn die Sache schon vor Vertragsschluss in ein anderes Gebiet als den Schutzstaat verbracht worden war (›enge Verbindung‹ iSd Art 7 EVÜ bei vorheriger Verbringung von der VR China nach Hongkong verneinend östOGH JBl 10, 707, 708). Ein ghanaisches Einfuhrverbot für französisches Rindfleisch kann bei einem Streit über die Nichtausführung des Schifftransports nach Ghana zu berücksichtigen sein (zu Art 7 EVÜ Cass Moller Maersk./. Viol JCP10 Nr 530 S 996 ff m Anm Bureau/d'Avout).
Rn 37
Ferner spricht III 1 nur von Eingriffsnormen, die die Erfüllung des Vertrages unrechtmäßig werden lassen. Daher bestehen Zweifel, ob auch andere Eingriffsnormen wie Preisbestimmungen, Widerrufsrechte etc unter Art 9 III fallen. Ein weites Verständnis scheint jedoch angebracht (weit Grüneberg/Thorn Art 9 Rz 12; Hauser 76 ff; Köhler 221 ff; Schacherreiter ZEuP 15, 497, 511; a Calliess/Renner/Renner Art 9 Rz 30; differenzierend und Widerrufsrechte ausschließend aber Freitag IPRax 09, 112; so auchReithmann/Martiny/Zwickel Rz 5.128 ff; eng Mauer/Sadtler 08, 544, 548; W.-H. Roth FS Kühne 859, 875 f; Ringe in: juris-pk Art 9 Rz 31 ff; zu Ausgleichsanspruch Remien FS Kronke [20], 447, 454; ders ERPL 20, 529). Die Einschränkung scheint nicht gerechtfertigt (Bonomi in: Cashin Ritaine/Bonomi 234; W.-H. Roth 876).
Rn 38
Um die Kompromissnorm des III, die eklektisch ein Kriterium der englischen Rspr herausgreift, sachgerecht zu handhaben, ist Berücksichtigung bisheriger Erfahrungen in Europa nützlich. Die deutsche Rspr hat ausländische Normen nicht nur über die Unmöglichkeit, sondern auch über § 138 BGB – nicht allerdings § 134 BGB – berücksichtigt (BGHZ 34, 169 – Borax; BGH NJW 62, 1436 – Borsäure; BGHZ 59, 82 – Nigerianische Masken). Letzteres kommt einer Sonderanknüpfung jedenfalls in der Wirkung nahe (vgl etwa Hentzen RIW 88, 508, 509; Soergel/v Hoffmann Art 34 Rz 81; Schurig RabelsZ 90, 217, 240 ff; v Bar I Rz 26...