Prof. Dr. Eckart Brödermann
1. Erfüllung und Erfüllungssurrogate, insbes Aufrechnung (Abs 1 lit d, Alt 1).
Rn 38
Das in Art 12 I lit d (früher: Art 32 I Nr 4 EGBGB) genannte Erlöschen unterliegt zT bereits nach lit b dem Vertragsstatut (zB Tilgung, Rn 18; Rücktritt, Rn 36). Lit d stellt klar, dass – vorbehaltlich der Sonderanknüpfung zwingender Bestimmungen (s Vor ROM I Rn 18), zB im Arbeits- oder Mietrecht – alle Formen des Erlöschens der Schuld vom Vertragsstatut beherrscht werden. So zB: (1) Kündigung (BGH NJW 97, 1150, 1151 [BGH 14.11.1996 - I ZR 201/94]; München IPRax 83, 120, 123; Dicey, Morris & Collins Rz 32–201; zur Frage, ob Abfindungen als Folge der Kündigung unter I lit d fallen, differenzierend Birk EuZA 08, 297); (2) Erlass (Bambg RIW 89, 221, 225; Karlsr IPRax 91, 259, 260 [OLG Karlsruhe 15.12.1987 - 18 U 8/87]), (3) Verzicht und Vertragsaufhebung (MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 108f); s.a. Rn 21: zB zum Vergleich; (4) Hinterlegung (Stettin JW 26, 385, 385; MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 107). Die Aufrechnung wird durch Art 17 hingegen gesondert angeknüpft (Unterschied zu ex Art 32 I Nr 4 Alt 1 EGBGB).
Rn 39
Da alle diese Formen des Erlöschens zugleich auch der Erfüllung der durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen dienen (Nr 2), gilt ergänzend das Ortsrecht nach II (s.o. Rn 26) für die Modalitäten (zB der Hinterlegung bei einem deutschen Amtsgericht, MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 107).
2. Folgen des Zeitablaufs: Verjährung und Verwirkung (Abs 1 lit d Alt 2).
Rn 40
I lit d Alt 2 stellt klar, dass das Vertragsstatut die Verjährung (vgl BGHZ 153, 244, 248; Brandbg BauR 01, 820, 821; Köln ZIP 92, 1482, 1484; Karlsr IHR 04, 246, 250) und alle Folgen von Zeitablauf erfasst: zB in England estoppel (MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 115); in Deutschland die Verwirkung (Ddorf JahrbItalR 89, 125, 127; Frankf RIW 82, 914; MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 170 f: mit Mahnung zur Vorsicht, wenn der Gläubiger erkennbar auf der Grundlage einer verwirkungsfeindlichen Rechtsordnung handelte).
Rn 41
Vorrangiges einheitliches Sachrecht (s.o. Rn 3 zum CISG) regelt die Verjährung uU nur teilweise (so Art 39 CISG iVm Art 3 des ZustG zum CISG für Gewährleistungsansprüche), so dass Art 12 I lit c auch die Verjährung von CISG-Kaufpreisansprüchen erfasst (Zweibr IHR 02, 67, 69; MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 117 ff; Ferrari/Ferrari Rom I-VO Art 12 Rz 23).
Rn 42
I lit d Alt 2 qualifiziert die Verjährung materiellrechtlich: Ist ausländisches Recht Vertragsstatut, sind dessen Verjährungsregeln auch dann anzuwenden, wenn sie im fremden Prozess- und nicht im fremden Schuldrecht zu finden sind (so in den US-Rechtsordnungen, RGZ 145, 121, 126 ff; BGH NJW 60, 1720, 1721 [BGH 09.06.1960 - VIII ZR 109/59]; Hambg AWD 74, 561, 561 f; MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 121; Staud/Magnus Art 12 Rz 71; Kegel/Schurig 141f). Der daraus ggf einhergehende Renvoi (eines amerikanischen Rechts) auf deutsches Prozessrecht ist nach Art 20 unbeachtlich. Beim Prozess im Ausland (USA) gelten indes aus Sicht der meisten US-Bundesstaaten auch bei deutschem Vertragsstatut die jeweiligen amerikanischen, dort prozessual qualifizierten (anderen) Fristen (s MAHIntWirtR/Brödermann § 6 Rz 602; Hay IPRax 89, 197 ff: unter Hinweis auf fallrechtliche und gesetzliche Einschränkungen; so auch Grüneberg/Thorn Art 12 Rz 8).
Rn 43
Das Vertragsstatut entscheidet nach Art 12 über alle Fragen im Zusammenhang mit der Verjährung: sowie der Hemmung der Verjährung und des Neubeginns oder der (Un-)Zulässigkeit der Verlängerung (§ 202 BGB). Dies schließt ggf ua die Entscheidung ein, ob eine (aus Sicht des Vertragsstatuts) ausländische Handlung (Anerkenntnis durch Teilzahlung; Mahnbescheid, Klage, Insolvenzanmeldung, Prozessaufrechnung, Streitverkündung, Beweissicherung) anstelle einer inländischen Handlung (Substitution) die Verjährung unterbricht oder zu einem Neubeginn führt (s iE zB MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 131 ff). Bei ausländischem Statut ist aus (fiktiver) ausländischer Sicht zu denken (MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 132; Staud/Peters § 204 BGB Rz 41). Bei deutschem Vertragsstatut war bereits zu Zeiten des alten Rechts (ex Art 32 EGBGB) insb str, ob das erstrebte Urt in Deutschland nach Art 45 Brüssel Ia (früher Art 34 EuGVO) bzw § 328 ZPO anerkennungsfähig sein muss (so zB RGZ 129, 385, 389; Ddorf NJW 78, 1752 [OLG Düsseldorf 09.12.1977 - 16 U 48/77]; eingehend mwN MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 136 ff). Die Regelung in § 204 I BGB, die auch die unzulässige Klage genügen lässt (s § 204 BGB Rn 11, Rn 21), streitet aus deutscher Sicht für eine materiellrechtliche Qualifikation der Prozesshandlung des Gläubigers, die nur den Willen zur Forderungsdurchsetzung erkennen lassen muss: Das Ergebnis des ausländischen Prozesses kann abgewartet werden, ggf ist binnen sechs Monaten (§ 204 II BGB) neu zu klagen (MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 143 ff; Ddorf RIW 89, 743, 743; Looschelders IPRax 98, 296, 300). Diese Wertung dürfte ihre Grenze beim Rechtsmissbrauch des Klägers finden: zB Beweissicherungsverfahren im Ausland trotz ausschließlicher inländischer internationaler Zuständigkeit (so iE – ohne Hinweis auf Rechtsmissbrauch – LG Hamburg IPRax 01, 45, 46: Umgehung einer...