Prof. Dr. Eckart Brödermann
Gesetzestext
Hat ein Gläubiger eine Forderung gegen mehrere für dieselbe Forderung haftende Schuldner und ist er von einem der Schuldner ganz oder teilweise befriedigt worden, so ist für das Recht dieses Schuldners, von den übrigen Schuldnern Ausgleich zu verlangen, das Recht maßgebend, das auf die Verpflichtung dieses Schuldners gegenüber dem Gläubiger anzuwenden ist. Die übrigen Schuldner sind berechtigt, diesem Schuldner diejenigen Verteidigungsmittel entgegenzuhalten, die ihnen gegenüber dem Gläubiger zugestanden haben, soweit dies gemäß dem auf ihre Verpflichtung gegenüber dem Gläubiger anzuwendenden Recht zulässig wäre.
A. Einführung.
Rn 1
Art 16 bestimmt (im Wege der Sachnormverweisung, s Art 20) das auf den Gesamtschuldnerausgleich anwendbare Recht. Die Regelung hat in dieser Form keinen Vorgänger im EVÜ bzw im EGBGB, entspricht aber in ihrem I Art 20 ROM II. Bisher war das IPR des Gesamtschuldnerausgleichs nur teilweise geregelt (Art 13 II EVÜ bzw ex Art 33 III 2 EGBGB). Mit Art 16 hat die Kommission einen im EVÜ enthaltenen Grundgedanken verallgemeinert. Art 16 geht – wie auch schon Art 13 II EVÜ bzw ex Art 33 III 2 EGBGB – vom Primat der (jeweiligen) Beziehung der einzelnen Gesamtschuldner zum Hauptgläubiger aus. Unterliegen die Beziehungen zwischen einem Hauptgläubiger und seinen Gesamtschuldnern unterschiedlichen Rechtsordnungen, bestimmt die (jeweilige) Beziehung der Gesamtschuldner zum Hauptgläubiger über das die Ansprüche und die Einwendungen beim Gesamtschuldnerausgleich regelnde Recht. Dabei unterliegen die Ansprüche und die Einwendungen unterschiedlichem Recht, wenn die Verpflichtung der Gesamtschuldner ggü dem Gläubiger verschiedenen Rechtsordnungen unterliegt (Bsp: Gesamtschuldnerische Haftung von Dienstleistern aus verschiedenen Staaten, die gemeinsam und ohne Rechtswahlklausel im Vertrag ein Projekt entwickeln, vgl Art 4 I lit b).
Rn 2
Art 16 gilt nur für die mehrfache Haftung für gleichrangige Verbindlichkeiten. Bei Nachrangigkeit gilt Art 15 (NK-BGB, Bd. 6, Hüßtege/Mansel/Doehner Art 16 Rz 4; MüKoIPR/Martiny Art 16 Rz 4; Grüneberg/Thorn Art 16 Rz 2; Ferrari/Kieninger Art 16 Rz 2; wohl auch Einsele WM 09, 298). Das Vertragsstatut bestimmt, ob die Verbindlichkeit gleich- oder nachrangig ist, s zB die Unterschiede bei der Bürgschaft Vor § 765 BGB Rn 68–70.
Rn 3
Art 20 ROM II stellt die ›übrigen Schuldner‹ ohne ersichtlichen Grund schlechter (s Art 20 ROM II Rn 3). Da zB allein die schnellere Befriedigung einer Schuld durch einen anderen Gesamtschuldner kein Grund für eine Schlechterstellung ist, wird Art 16 S 2 zT analog bei Art 20 ROM II angewendet (MüKoIPR/Junker Art 20 ROM II Rz 15). Jedenfalls gilt Art 16 S 2 nach dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz (zu diesem Grundsatz vgl die stRspr des EuGH, zB Rs C-217/91, Slg 93, I-03923, Rs C-306/93, Slg 94 I-5555) bei gemischten vertraglichen und außervertraglichen Gesamtschulden für alle Gesamtschuldner (Art 20 ROM II Rn 3).
B. Anspruch auf Gesamtschuldnerausgleich (S 1).
Rn 4
Art 16 S 1 bestimmt das anwendbare Recht für die Inanspruchnahme im Gesamtschuldnerausgleich: Die Norm knüpft an das Vertragsstatut der getilgten Forderung an. Es bestimmt, ob und inwieweit sich der zahlende Hauptschuldner im Innenverhältnis seinerseits bei gesamtschuldnerisch haftenden Mitschuldnern erholen kann. Ist deutsches Recht Vertragsstatut, gilt § 426 I BGB.
Rn 5
Unterliegen die Vertragsbeziehungen der Gesamtschuldner ggü dem Gläubiger unterschiedlichen Rechtsordnungen, hat jeder Gesamtschuldner es durch zügige Vertragserfüllung in der Hand, das Statut des Gesamtschuldnerausgleichs zu bestimmen. Der rechtstreu leistende Gesamtschuldner wird ggü anderen Gesamtschuldnern, die im Verzug sind, bevorzugt. Das Schuldstatut des zuerst leistenden Schuldners setzt sich durch (vgl MüKoIPR/Martiny Art 16 Rz 7; Kropholler Internationales Privatrecht, § 52 VIII 3). Gleiches gilt für den vom Gläubiger vorrangig in Anspruch genommenen Gesamtschuldner, der als Kompensation im Gesamtschuldnerausgleich sein eigenes Recht behält (vgl Stoll in FS Müller-Freienfels (86), 659; v Bar Internationales Privatrecht Band II Rz 584). Die Folgen der Ungleichbehandlung werden durch Art 16 S 2 entschärft.
Rn 6
Wie auch schon nach altem Recht (s MüKoIPR/Martiny 4. Aufl, Art 33 EGBGB Rz 47; v Bar RabelsZ (89), 483; Staud/Hausmann Art 33 EGBGB Rz 83) ist es nicht erforderlich, dass die Gesamtschuldner aus demselben Rechtsgrund, zB aus Vertrag oder Gesetz, haften. Sind Gesamtschuldner kraft Gesellschaftsrecht verpflichtet, dürfte der Ausschluss von Fragen des Gesellschaftsrechts in Art 1 II lit f auch den akzessorisch an das Gesellschaftsstatut anzuknüpfenden Gesamtschuldnerausgleich erfassen (vgl zum alten Recht Staud/Hausmann Art 33 EGBGB Rz 88; Stoll in FS Müller-Freienfels (86), 643). In der Praxis wird dadurch kein anderes Ergebnis als bei Anwendung von Art 16 erzielt, weil die gesellschaftsrechtliche Verbindung der Mitgesellschafter zur Gesellschaft idR demselben Recht unterliegt.
C. Verteidigungsmittel des Schuldners im Gesamtschuldnerausgleich (S 2).
Rn 7
Art 16 S 2 bestimmt das anwendbare Recht für die Verteidigung im Gesamtschuldnerausg...