Prof. Dr. Juliana Mörsdorf
Gesetzestext
Die Anwendung einer Vorschrift des nach dieser Verordnung bezeichneten Rechts kann nur versagt werden, wenn ihre Anwendung mit der öffentlichen Ordnung (›ordre public‹) des Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich unvereinbar ist.
A. Einführung.
Rn 1
Nach Art 21 ist im Anwendungsbereich der ROM I der op der mitgliedstaatlichen lex fori zu beachten, und zwar trotz der Formulierung ›kann‹ vAw (s zur wortgleichen Parallelvorschrift für außervertragliche Schuldverhältnisse Art 26 ROM II Rn 1 mN, dort auch zu den fünf weiteren Parallelvorschriften). Für das IPR der Schuldverträge löst Art 21 damit vor einem deutschen Gericht den Art 6 EGBGB (s Art 6 EGBGB Rn 1 ff) als allgemeine Vorbehaltsklausel zugunsten des deutschen op ab, ohne dass es inhaltlich zu einer Änderung kommt (so auch Magnus IPRax 10, 42). Ebenso wie im deutschen wird auch im europäischen IPR zwischen Korrektur eines op-Verstoßes (Art 21) und der Durchsetzung von Eingriffsnormen (Art 9) unterschieden (instruktiv GA Szpunar in EuGH Rs Nikiforidis C-135/15 Rz 68–70). Für die Legaldefinition von Eingriffsnormen in Art 9 stand die vom EuGH in der Rs Arblade C-369/96 Rz 30 (RIW 00, 137) im Zusammenhang mit Grundfreiheiten entwickelte Definition Pate. Für den – bislang vom EuGH noch nicht definierten – op im IPR sollte nicht diese (so aber Staud/Hausmann Rz 8, MüKo/Martiny Rz 6, Grüneberg/Thorn Rz 2), sondern die vom EuGH in der Rs Krombach C-7/98 Rz 37 für den op im IZPR entwickelte Definition herangezogen werden. Danach ist der op betroffen, wenn die Nichtbeachtung einer in der betreffenden Rechtsordnung als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines dort als grundlegend anerkannten Rechts zu einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zu der Rechtsordnung des betreffenden Staates führen würde.
B. Prüfungsmaßstab.
Rn 2
Zum op des Forumstaates gehören sowohl autonome mitgliedstaatliche Rechtsgrundsätze als auch solche europäischen Ursprungs (Guiliano/Lagarde BTDrs 10/503, 70; s Art 6 EGBGB Rn 10), auch wenn auf die deklaratorische Erwähnung eines ›europäischen ordre public‹ in Art 21 entgegen dem Vorschlag des MPI für Internationales und Ausl Privatrecht (MPI RabelsZ 71 [2007] 337) verzichtet wurde. Bsp für die Verletzung des europäischen (Anteils des nationalen) op (s ausf Art 6 EGBGB Rn 10) ist etwa ein Verstoß gegen die Wettbewerbsgrundsätze des Art 101 AEUV (ehem Art 81 EGV) (Basedow, FS Sonnenberger [04], 291, 319; ihm folgend MPI aaO 338). Bsp für Verletzungen des autonomen deutschen op im Bereich des Vertragsrechts betreffen ua die Bürgenhaftung nach entschädigungsloser Enteignung (BGHZ 104, 240), die Nichtzulassung des Einwands des Rechtsmissbrauchs (SG Stuttg FamRZ 92, 235; LG Frankf NJW 81, 56), der vertragliche Verzicht auf Kündigungsschutz (BAG NJW 79, 1119) und die Verbindlichkeit von Spielschulden (Hamm NJW-RR 97, 1007 [OLG Hamm 29.01.1997 - 31 U 145/96], LG Mönchengladbach IPRspr 94 Nr. 6), während ein Verstoß gegen den deutschen op zB abgelehnt wurde bei einem über § 181 hinausgehendem Selbstkontrahierungsrecht (RG JW 28, 2013) oder uU bei Verpflichtungen zu Schmiergeldzahlungen (Hambg NJW 92, 635 [OLG Hamburg 08.02.1991 - 1 U 134/87]), weitere Bsp s BaRoth/Spickhoff Rz 4 ff; Ferrari/Schulze Rz 18 ff; Staud/Hausmann Rz 25 ff, wobei aber der Strafschadensersatz keine vertragsrechtliche Sanktion ist – zu diesem s Art 26 ROM II Rn 3).
C. Verstoß.
I. Prüfungsgegenstand.
Rn 3
Prüfungsgegenstand ist nicht das ausl Recht als solches, sondern das konkrete Ergebnis seiner Anwendung in dem zu beurteilenden Fall (s Art 6 EGBGB Rn 14). Erw 37 stellt klar, dass der Eingriff der Vorbehaltsklausel ›außergewöhnliche Umstände‹ voraussetzt. Das Adjektiv ›offensichtlich‹ weist darauf hin, dass ein besonders schwerwiegender Widerspruch zu den Rechtsgrundsätzen des Forumstaats zu verlangen ist (vgl auch Art 6 EGBGB Rn 1 aE).
II. Inlandsbezug.
Rn 4
Erforderlich ist ein Bezug zum Forumstaat, s Art 6 EGBGB Rn 15 ff. Handelt es sich bei dem verletzten Grundsatz um einen Grundsatz europäischen Rechts, so reicht jedoch der Bezug zum Gebiet eines anderen EU-Mitgliedstaats aus (s Art 6 EGBGB Rn 16), um entgegenstehendes drittstaatliches Recht abzuwehren. Diese Erweiterung des Inlandsbegriffes folgt auch aus dem Gebot der Gemeinschaftstreue (Art 4 III EUV).
D. Sanktion.
Rn 5
Verstößt das von das ROM I berufene Vertragsrecht gegen wesentliche Grundsätze des deutschen oder europäischen Rechts, insb Grund- oder Menschenrechte, so muss das entscheidende deutsche Gericht eine Ergebniskorrektur vornehmen (dazu Art 6 EGBGB Rn 18). Bsp für Verstöße s Art 6 EGBGB Rn 20.