Prof. Dr. Eckart Brödermann
Gesetzestext
(1) Der Vertrag unterliegt dem von den Parteien gewählten Recht. Die Rechtswahl muss ausdrücklich erfolgen oder sich eindeutig aus den Bestimmungen des Vertrags oder aus den Umständen des Falles ergeben. Die Parteien können die Rechtswahl für ihren ganzen Vertrag oder nur für einen Teil desselben treffen.
(2) Die Parteien können jederzeit vereinbaren, dass der Vertrag nach einem anderen Recht zu beurteilen ist als dem, das zuvor entweder aufgrund einer früheren Rechtswahl nach diesem Artikel oder aufgrund anderer Vorschriften dieser Verordnung für ihn maßgebend war. Die Formgültigkeit des Vertrags im Sinne des Artikels 11 und Rechte Dritter werden durch eine nach Vertragsschluss erfolgende Änderung der Bestimmung des anzuwendenden Rechts nicht berührt.
(3) Sind alle anderen Elemente des Sachverhalts zum Zeitpunkt der Rechtswahl in einem anderen als demjenigen Staat belegen, dessen Recht gewählt wurde, so berührt die Rechtswahl der Parteien nicht die Anwendung derjenigen Bestimmungen des Rechts dieses anderen Staates, von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden kann.
(4) Sind alle anderen Elemente des Sachverhalts zum Zeitpunkt der Rechtswahl in einem oder mehreren Mitgliedstaaten belegen, so berührt die Wahl des Rechts eines Drittstaats durch die Parteien nicht die Anwendung der Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts – gegebenenfalls in der von dem Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts umgesetzten Form –, von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden kann.
(5) Auf das Zustandekommen und die Wirksamkeit der Einigung der Parteien über das anzuwendende Recht finden die Artikel 10, 11 und 13 Anwendung.
A. Einleitung.
Rn 1
Die Rechtswahlfreiheit entspricht den Bedürfnissen des internationalen Rechtsverkehrs (so Schmeding RabelsZ [77] 299, 304 f; auch Leible FS Jayme [04], Bd I, 489; Hoffmann/Stegemann JuS 13, 207), erlaubt die flexible Lösung verschiedener Fragen der vertraglichen Beziehungen (so Soergel/v Hoffmann Art 27 EGBGB Rz 5) und ist angesichts des weitgehend dispositiven Charakters des Vertragsrechts in fast allen Rechtsordnungen der Welt unbedenklich (so MüKoIPR/Martiny Art 3 Rz 8; Staud/Magnus Art 3 Rz 27 ff mwN; Beschränkungen bestehen zB in Brasilien s MAHIntWirtR/Brödermann § 6 Rz 102). Die Privatautonomie ist mittlerweile über das vertragliche Schuldrecht hinaus zum vorrangigen Anknüpfungsmoment des modernen IPR geworden (Kühne in FS Wegen [15], 451, 452). Grenzen ergeben sich aus dem Völkerrecht (Normenhierarchie, s.a. Art 25), vgl zB Bretton-Woods-Übk IWF (dazu Art 9 Rn 48), sowie Art 6–9 ROM I. Im Anwendungsbereich von materiellem Einheitsrecht sind dessen Grenzen zu beachten (s zB Art 6 CISG). Die Rechtswahlfreiheit ist auf staatliches Recht beschränkt, s Rn 4.
Der bereits früher im deutschen Recht geltende Grundsatz der Parteiautonomie (RGZ 120, 70; BGHZ 52, 239; 73, 391) wird in Art 3 ROM I – wie schon in Art 3 EVÜ (und ex Art 27 EGBGB, s www.pww-oe.de) – für den Rechtsraum der EU festgeschrieben. Die Parteien können das für einen Schuldvertrag maßgebende Recht (Vertragsstatut) selbst bestimmen. Die Rechtswahl erfolgt durch einen Verweisungsvertrag, der gewöhnlich kollisionsrechtliche Wirkung hat (s Überblick bei v Bar/Mankowski IPR II Rz 60–65); zum Zustandekommen von Rechtswahlvereinbarungen s Brödermann in FS Martiny [14], 1045. Etwaige Mängel im Verweisungsvertrag schlagen nicht auf den Hauptvertrag durch; ist deutsches Recht Vertragsstatut, findet § 139 BGB in ihrem Verhältnis keine Anwendung (Fetsch RNotZ 07, 456, 458). Für die Formbedürftigkeit des Verweisungsvertrages gilt Art 11 I ROM I. Mit dem Verweisungsvertrag wird eine Rechtsordnung, also das einheitliche Vertragsstatut insgesamt, unter Einschluss ihrer zwingenden Normen durch die Parteien für anwendbar erklärt (so auch bei der Verwendung von ›Rechtswahlklauseln unter Ausschluss des IPR‹, Mallmann NJW 08, 2953, 2957 f; Fetsch RNotZ 07, 456, 458), jedoch ohne Einbeziehung des Kollisionsrechts dieser Rechtsordnung (Art 20 ROM I). Der ausdrückliche Ausschluss des IPR ist damit im Anwendungsbereich von ROM I zumindest überflüssig. Die Parteiautonomie erlaubt auch die Rechtswahl unter Einbeziehung des IPR des gewählten Rechts (Gesamtverweisung, selten, s Art 20 Rn 3). Ferner ist die materiell-rechtliche Verweisung im Wege der Inkorporation möglich, nämlich die Einbeziehung von Vorschriften einer fremden Rechtsordnung oder nichtstaatlichen Rechts wie der UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts (s Art 3 Rn 4) an Stelle der dispositiven Vorschriften des Vertragsstatuts (s dazu unten Rn 4; MüKoIPR/Martiny Art 3 Rz 16). Die Parteien können den Vertrag nach I auch einem neutralen Recht unterstellen, zu dem sonst keine Beziehung besteht (dazu Reithmann/Martiny/Martiny Rz 2.34 mwN; Sandrock RIW 94, 385; anders zB Art 18 algerischer Code civil). Ein typischer Fall ist die Vereinbarung schweizerischen Rechts bei deutschen und türkischen Vertragsparteien (München IPRax 86, 178; vgl LG Düsseldorf RIW 95, 415, obwohl das schweizerisch...