Prof. Dr. Eckart Brödermann
Gesetzestext
(1) Soweit die Parteien keine Rechtswahl gemäß Artikel 3 getroffen haben, bestimmt sich das auf den Vertrag anzuwendende Recht unbeschadet der Artikel 5 bis 8 wie folgt:
a) |
Kaufverträge über bewegliche Sachen unterliegen dem Recht des Staates, in dem der Verkäufer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. |
b) |
Dienstleistungsverträge unterliegen dem Recht des Staates, in dem der Dienstleister seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. |
c) |
Verträge, die ein dingliches Recht an unbeweglichen Sachen sowie die Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen zum Gegenstand haben, unterliegen dem Recht des Staates, in dem die unbewegliche Sache belegen ist. |
d) |
Ungeachtet des Buchstabens c unterliegt die Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen für höchstens sechs aufeinander folgende Monate zum vorübergehenden privaten Gebrauch dem Recht des Staates, in dem der Vermieter oder Verpächter seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern der Mieter oder Pächter eine natürliche Person ist und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat hat. |
e) |
Franchiseverträge unterliegen dem Recht des Staates, in dem der Franchisenehmer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. |
f) |
Vertriebsverträge unterliegen dem Recht des Staates, in dem der Vertriebshändler seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. |
g) |
Verträge über den Kauf beweglicher Sachen durch Versteigerung unterliegen dem Recht des Staates, in dem die Versteigerung abgehalten wird, sofern der Ort der Versteigerung bestimmt werden kann. |
h) |
Verträge, die innerhalb eines multilateralen Systems geschlossen werden, das die Interessen einer Vielzahl Dritter am Kauf und Verkauf von Finanzinstrumenten im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 17 der Richtlinie 2004/39/EG nach nicht diskretionären Regeln und nach Maßgabe eines einzigen Rechts zusammenführt oder das Zusammenführen fördert, unterliegen diesem Recht. |
(2) Fällt der Vertrag nicht unter Absatz 1 oder sind die Bestandteile des Vertrags durch mehr als einen der Buchstaben a bis h des Absatzes 1 abgedeckt, so unterliegt der Vertrag dem Recht des Staates, in dem die Partei, welche die für den Vertrag charakteristische Leistung zu erbringen hat, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat.
(3) Ergibt sich aus der Gesamtheit der Umstände, dass der Vertrag eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen als dem nach Absatz 1 oder 2 bestimmten Staat aufweist, so ist das Recht dieses anderen Staates anzuwenden.
(4) Kann das anzuwendende Recht nicht nach Absatz 1 oder 2 bestimmt werden, so unterliegt der Vertrag dem Recht des Staates, zu dem er die engste Verbindung aufweist.
A. Einführung.
Rn 1
Art 4 regelt die objektive Anknüpfung, die in Ermangelung einer wirksamen Rechtswahl greift; er verweist nur auf staatliches Recht (arg Erw 13). Abs 1 sieht eine an der Erbringung der charakteristischen Leistung orientierte (Mankowski IPRax 06, 101, 103) Katalogisierung vor: die Ersetzung der im alten Recht geltenden Vermutungen des Art 4 II–IV EVÜ (ex Art 28 II EGBGB) durch objektive, für einzelne Vertragsarten spezifizierte Anknüpfungsregeln (Erw 19). Zugleich werden in III die Anforderungen an die einzelfallbezogene Durchbrechung der Regelanknüpfung des I ggü Art 4 V EVÜ erhöht. Der europäische Gesetzgeber wollte Art 4 V EVÜ zunächst gänzlich streichen. Das Europäische Parlament hat ROM I indes mit einer eingeschränkten Ausweichklausel (III, s Erw 20; frz clause d'exception, engl escape clause) angenommen, die bei offensichtlich engerer Verbindung eines Sachverhalts mit einer anderen Rechtsordnung die im Einzelfall gebotene Durchbrechung der Regeln weiterhin gestattet. Vgl Magnus in: Ferrari/Leible Rome I Regulation 2009, 27, 29 ff.
Rn 2
Ist eine Einordnung eines Vertrags in den Katalog von I nicht möglich, ist nach II an den gewöhnlichen Aufenthalt der Partei anzuknüpfen, die die charakteristische Leistung erbringt; auch diese Regelanknüpfung kann im Einzelfall nach III durchbrochen werden. Hilfsweise knüpft IV bei Unmöglichkeit der Regelanknüpfung an den Grundsatz der engsten Verbindung an.
B. Anwendungsbereich, Funktion.
Rn 3
Haben die Parteien eines ab dem 17.12.09 (Art 28) geschlossenen Vertrages keine Rechtswahl nach Art 3 vereinbart oder ist eine solche unwirksam, bestimmt Art 4 das auf schuldrechtliche Verträge anzuwendende Recht. Er wird auch als die ›zentrale Auffangnorm des internationalen Vertragsrechts‹ bezeichnet (Staud/Magnus Art 4 Rz 16). Dabei folgt Art 4 dem Grundsatz der objektiven Anknüpfung. Vom Anwendungsbereich des Art 4 ausgenommen sind die in Art 5–8 separat geregelten Vertragstypen Beförderungs-, Verbraucher-, Versicherungs- und Arbeitsvertrag.
Rn 4
Als Nachfolgenorm zu Art 4 EVÜ bzw ex Art 28 EGBGB (s www.pww-oe.de) stellt Art 4 die markanteste Neuerung durch die ROM I dar (Max-Planck-Institut, RabelsZ (07), 225, 255), obwohl letztlich nicht alle angestrebten Änderungen übernommen worden sind (Mankowski IHR 08, 133). Das Gerüst des ex Art 28 EGBGB – mit der Grundregel der engsten Verbindung in ex Art 28 I EGBGB, konkretisiert durch die Vermutungen der II–IV und korrigiert über die Ausweichklausel des V (vgl ex...