Gesetzestext
(1) Individualarbeitsverträge unterliegen dem von den Parteien nach Artikel 3 gewählten Recht. Die Rechtswahl der Parteien darf jedoch nicht dazu führen, dass dem Arbeitnehmer der Schutz entzogen wird, der ihm durch Bestimmungen gewährt wird, von denen nach dem Recht, das nach den Absätzen 2, 3 und 4 des vorliegenden Artikels mangels einer Rechtswahl anzuwenden wäre, nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf.
(2) Soweit das auf den Arbeitsvertrag anzuwendende Recht nicht durch Rechtswahl bestimmt ist, unterliegt der Arbeitsvertrag dem Recht des Staates, in dem oder andernfalls von dem aus der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrags gewöhnlich seine Arbeit verrichtet. Der Staat, in dem die Arbeit gewöhnlich verrichtet wird, wechselt nicht, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit vorübergehend in einem anderen Staat verrichtet.
(3) Kann das anzuwendende Recht nicht nach Absatz 2 bestimmt werden, so unterliegt der Vertrag dem Recht des Staates, in dem sich die Niederlassung befindet, die den Arbeitnehmer eingestellt hat.
(4) Ergibt sich aus der Gesamtheit der Umstände, dass der Vertrag eine engere Verbindung zu einem anderen als dem in Absatz 2 oder 3 bezeichneten Staat aufweist, ist das Recht dieses anderen Staates anzuwenden.
A. Einordnung und Systematik der Regelung.
I. Einordnung.
Rn 1
Die Regelung löst ex Art 30 EGBGB ab und ist auf Arbeitsverträge anwendbar, die nach dem 17.12.09 geschlossen wurden (Art 29; BAG BeckRS 20, 16354; NZA 14, 1076 [BAG 19.03.2014 - 5 AZR 252/12 (B)]). Anders als bisher sind die Gemeinschaftsgerichte für die Interpretation der Verordnungsbestimmungen auch für die Mitgliedstaaten bindend zuständig (vgl Mauer/Stadtler RIW 08, 544f). Dänemark ist von ROM I ausgenommen und wird als Nicht-Mitgliedstaat behandelt (Art 1 IV), anwendbares Recht ist strittig (vgl Art 2 Rn 2).
II. Systematik der Regelung.
Rn 2
Die Systematik von Art 8 ROM I entspricht weitgehend ex Art 30 EGBGB. Auch Art 8 I schränkt den Grundsatz der freien Rechtswahl (Art 3) ein. Sie darf nicht dazu führen, dass dem ArbN der Schutz der zwingenden Bestimmungen entzogen wird, die ohne Rechtswahl eingreifen würden (EuGH NZA 16, 1389). Daher ist ein ergebnisbezogener Günstigkeitsvergleich im Einzelfall (BAG NJOZ 18, 1744; NZA 14, 1076 [BAG 19.03.2014 - 5 AZR 252/12 (B)]; AP § 20 GVG Nr 8; LAG Hamburg NZA-RR 22, 475) mit den aufgrund der objektiven Anknüpfung anwendbaren Regelungen durchzuführen. Objektive Anknüpfungspunkte sind die Regelanknüpfungen (II und III) und die Ausweichklausel (IV). Sie sind auch ausschlaggebend, wenn keine (wirksame) Rechtswahl getroffen wurde. Eine Verweisung auf ausländisches Recht erfasst nur dessen Sachnormen, eine Gesamtverweisung auf das ausländische Kollisionsrecht ist ausgeschlossen (vgl Art 20 ROM I; HK-ArbR/Däubler ROM I/EGBGB Rz 10).
B. Anwendungsbereich.
I. Individualarbeitsverträge.
Rn 3
Zur Vertragsgestaltung bei Auslandsbezug BLDH/Lingemann Kap 11 Rz 1 ff; Schneider NZA 10, 1384. Die Formulierung ›Individualarbeitsverträge‹ in Art 8 I entspricht den in ex Art 30 EGBGB verwendeten Begriffen ›Arbeitsverträge und Arbeitsverhältnisse‹ (Junker RIW 06, 401f), schließt auch AGB nicht aus, erfasst aber nicht Verträge mit kollektivem Charakter (Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen; Ferrari/Staudinger Art 8 Rom I Rz 11). Der Begriff richtet sich nicht nach nationalem Recht, sondern der Rspr des EuGH (BAG v 29.3.23 – 5 AZR 55/19, NZA 23, 1265; 16, 183 [BAG 19.08.2015 - 5 AZR 500/14]) und umfasst auch Arbeitsverhältnisse iSd AÜG (BAG NZA 22, 1333 [BAG 26.04.2022 - 9 AZR 139/21]). Das nach Art 8 anzuwendende Arbeitsvertragsstatut umfasst Begründung, Inhalt, Durchführung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses (vgl Art 12) einschließlich nichtiger und faktischer Arbeitsverhältnisse (s Art 12 I lit e). Art 8 greift unabhängig davon, ob die Vertragsparteien Angehörige eines Mitgliedstaates der EU sind (LAG Köln NZA-RR 14, 214 [LAG Köln 18.09.2013 - 5 Sa 201/13]; ErfK/Schlachter ROM I Rz 4; Günther/Pfister ArbR 14, 215).
II. Kollektives Arbeitsrecht.
Rn 4
Art 8 gilt nicht für kollektives Arbeitsrecht (Ferrari/Staudinger Art 8 Rom I Rz 11). Zu deliktischen Folgen des Arbeitskampfes s Art 9 ROM II, Rn 1 ff. Keine Regelung hat das Arbeitskampfstatut als solches erfahren. Das gilt auch für die internationalvertragsrechtlichen Anknüpfungsgegenstände im Zusammenhang mit dem Arbeitskampf, wie zB dessen Folgen für die Zahlung der Vergütung (Knöfel EuZA 08, 240).
III. Verhältnis zur EU-Entsenderichtlinie (96/71/EG – neu RL [EU] 2018/957).
Rn 5
Unberührt bleibt die Anwendung von Rechtsakten, die in besonderen Bereichen Kollisionsnormen für vertragliche Schuldverhältnisse enthalten, namentlich von nationalen Regelungen auf Grundlage der Entsenderichtlinie (Art 23). In Umsetzung der Entsenderichtlinie legt das AEntG in §§ 1 und 7 fest, welche inländischen Regelungen auf ein Arbeitsverhältnis zwischen einem ArbG mit Sitz im Ausland und seinem in Deutschland beschäftigten ArbN zwingend anzuwenden sind. Insoweit werden die Regelungen des ausländischen Arbeitsvertragsstatuts durch das über das AEntG erstreckte international zwingende Eingriffsrecht partiell überlagert (Schulze/Schmidl ArbRAktuell 18, 442; Mankowski RdA 18, 181).
Rn 6
Nach reformierter Entsenderi...