Prof. Dr. Eckart Brödermann
Rn 1
Für alle seit dem 17.12.09 abgeschlossenen Verträge gilt vor deutschen staatlichen Gerichten die unionsrechtliche VO (EG) Nr 593/2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (ROM I) (ABl 2008 L 177/6, geändert durch Berichtigung v 24.11.09 ABl 2009 L 309/87), Art 28 ROM I. ROM I ist ua Teil des Haager Programms zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union von 2004 (ABl 2005 C 53/1, s dort Anhang, Ziff 4.3), Erw 5. Im November 2012 wurden die ›Hague Principles on the Choice of Law in International Contracts‹ veröffentlicht. Sie sind nicht bindend und können bei der Auslegung von ROM I ergänzend berücksichtigt werden: s Präambel, Ziff 3 (in der Endfassung von März 15); dazu Martiny, RabelsZ 15, 624; Pfeiffer in FS Magnus [14], 501: mögliche Interpretationsleitlinie für geltendes IPR; Schwartze, in FS Kirchner [14], 315; Symeonides Rev crit dr int pr 13, 807; ders Am J Comp L 13 (Heft 4), 873 (englische Fassung); Lando in FS van Loon [13], 299; Neels, in Bonomi/Romano/Šarčeviá/Volken, Yearbook of Private International Law, Vol XV – 13/14, S 45). ROM I soll zusammen mit den weiteren (ROM-)Verordnungen dazu beitragen, durch unionsweit einheitliches IPR den Ausgang von Rechtsstreitigkeiten vorhersehbarer zu machen, den freien Verkehr gerichtlicher Entscheidungen zu fördern und dadurch den Binnenmarkt zu stärken (Erw 6, s.a. Vor ROM II Rn 1). Da alle Gerichte der Europäischen Union (außer Dänemark, s Art 1 IV ROM I iVm Erw 46) nunmehr grds identisches Internationales Schuldvertragsrecht anwenden, soll unabhängig von dem Staat, in dem sich das Gericht befindet, das gleiche Sachrecht zur Anwendung kommen (unionsweiter Entscheidungseinklang), soweit nicht zT völkerrechtliche Übereinkommen vorrangig anzuwenden sind (s Art 25–26 Rom I); dies gilt insbesondere für das (zB in Frankreich, Italien geltende) Haager Übereinkommen über das auf internationale Käufe beweglicher Sachen anwendbare Recht vom 15.6.55 (Art 26 Rn 2). Für die Bestimmung des Schuldvertragsstatuts von Verträgen, die mit einer Schiedsklausel versehen sind, kommt Sonderkollisionsrecht zur Anwendung (Art 1 Rn 21).
Rn 2
Die ex Art 27 ff EGBGB sind zum 17.12.09 durch das Gesetz zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die Verordnung (EG) Nr 593/2009 vom 25.6.09 aufgehoben worden (AnpGEG 593/2008; BGBl 2009 I 1574; für praktische Folgen für Gerichtsstandsvereinbarungen s Anhang zu Art 4 Rn 26). Andere EU-Mitgliedstaaten wie Österreich haben das alte Internationale Schuldrecht für Fälle außerhalb des Anwendungsbereichs von ROM I fortgelten lassen (Mansel/Thorn/Wagner IPRax 10, 1, 23). In Irland gilt ROM I ebenfalls seit 17.12.09 aufgrund einer Beteiligungsmitteilung (›opt in‹-Verfahren, s Erw 45 ROM I; KOM (2008) 730 endg). Gleiches galt für das Vereinigte Königreich (aaO); für die Fortgeltung im Vereinigten Königreich seit dem BREXIT, s Art 1 Rn 3. Für Fälle mit Dänemark-Bezug ist nach strittiger, aber konsequenter Meinung das EVÜ heranzuziehen (s Art 25 Rn 2).
Rn 3
Nach Art 288 II AEUV gilt ROM I in den Mitgliedstaaten der EU unmittelbar ggü allen Unionsbürgern und den ihnen nach Art 54, 62 AEUV gleichgestellten Gesellschaften. Die Bestimmungen der ROM I sind einheitlich nach unionsrechtlichen Grundsätzen auszulegen (s Rn 12 ff). Alle 24 sprachlichen Fassungen gelten gleichberechtigt (arg Art 55 EUV (s ABl 2012 L 112/21) und Art 4 der Verordnung Nr 1 des Rates vom 15.4.58 zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, EWG Sprachen-VO, idF v VO Nr 517/2013, ABl Nr L 158 S 71). Dabei hilft in der Praxis oft der Blick in die englische und/oder französische Fassung (Arbeitssprachen der Union).
Rn 4
ROM I gilt als loi uniforme universell für innereuropäische und weltweite zivilrechtliche und handelsrechtliche Fälle (s Art 1 mit Einschränkungen). Sie gilt unabhängig davon, ob das Recht eines Mitgliedstaates der EU oder ein Drittstaatrecht berufen wird (Art 2 ROM I). Völkerrechtliches IPR geht jedoch grds vor (s Art 25 mit Ausnahmen). Internationales oder unionsrechtliches Einheitsrecht geht bereits deshalb vor, weil insoweit kein durch ROM I zu lösender Konflikt zwischen verschiedenen Rechtsordnungen vorliegt (Art 1 Rn 8–10).
Rn 5
Die Regeln des Internationalen Vertragsrechts sind von großer praktischer Bedeutung, da der internationale Rechts- und Wirtschaftsverkehr im Zeichen der Globalisierung zunimmt und die Rechtsvereinheitlichung nur punktuell möglich ist (MüKoIPR/Martiny Vor Art 1 ROM I Rz 3f). Nach Art 12 I lit e ROM I regeln Art 3 ff ROM I auch die Anknüpfung im Bereicherungsrecht (MüKoIPR/Spellenberg Art 12 ROM I Rz 175). Schließlich ist das Vertragsstatut durch akzessorische Anknüpfung auch für das Deliktsrecht (s Art 4 III 2 ROM II bzw Art 41 II Nr 1 EGBGB) und – trotz Art 1 II lit e ROM I – Gerichtsstandsvereinbarungen (s Anhang zu Art 4 Rn 26) von Bedeutung. Für Schiedsvereinbarungen gilt hingegen jedenfalls überwiegend völkervertragliches Kollision...